Guido Thiemeyer
Als die Diplomatie das Geld entdeckte: Diskurse über Geld in der Lateinischen Münzunion zwischen 1865 und 1885
Zwischen 1832 und 1862 entstand in Europa mit der sogenannten »Lateinischen Münzunion« zwischen Frankreich, Belgien, der Schweiz und Italien die erste internationale Währungsunion im modernen Sinne. Sie basierte darauf, dass die neu gegründeten Staaten Belgien (1832), Schweiz (1848) und Italien (1861) eine Kopie des französischen Franc als Währung einführten. Zu Beginn der 1860er Jahren wurde diese Währungsunion allerdings durch einen externen Schock zerstört. Die französische Regierung ergriff daher 1865 die Initiative für eine Wiederbegründung des Währungsbündnisses. Allerdings ging es nicht allein um die Wiederherstellung, sondern auch um die Ausweitung. Während die Währungsunion zwischen 1832 und 1861 aus rein ökonomischen Motiven entstanden war, spielten nun in Paris innen- und außenpolitische Motive eine zentrale Rolle. Der französische Franc sollte zur Leitwährung Kontinental-Europas werden und die hegemonialen politischen Ambitionen des Zweiten Kaiserreiches unterstützen. Währungspolitik, so die These, war ein Instrument der Außenpolitik geworden. Zwischen 1865 und 1870 wurden von der französischen Regierung Verhandlungen unter anderem mit Preußen, der Habsburgermonarchie und den skandinavischen Staaten über einen Beitritt zur Lateinischen Münzunion geführt. Währungspolitik erweiterte also die außenpolitischen Möglichkeiten der französischen Regierung. Doch hatte das Instrument auch Nachteile: Immer, wenn ein Mitgliedstaat in wirtschaftliche und währungspolitische Schwierigkeiten geriet (z.B. Italien 1866), dann waren alle Mitgliedstaaten der Währungsunion unmittelbar betroffen. Die Währungsunion erweiterte also einerseits den Handlungsspielraum in der Außenpolitik, konnte ihn unter bestimmten Bedingungen aber auch einschränken. Der Beitrag untersucht die ambivalenten Strukturen und Prozesse der französischen Währungspolitik im Gesamtkontext der französischen Außenpolitik zwischen 1865 und 1914 auf der Basis von bislang unpublizierten Quellen aus französischen und italienischen Archiven.
When Diplomacy Discovered Money. Money Discourses in the Latin Monetary Union, 1865–1885
Between 1832 and 1862, the first international monetary union in the modern sense came into being in Europe with the so-called »Latin Monetary Union« between France, Belgium, Switzerland, and Italy. It was based on the fact that the newly founded states of Belgium (1832), Switzerland (1848) and Italy (1861) introduced a copy of the French franc as their currency. At the beginning of the 1860s, however, this monetary union was destroyed by an external shock. In 1865 the French government therefore took the initiative to re-establish the monetary union. However, it was not only a matter of restoration, but also of expansion. While the monetary union between 1832 and 1861 had been based on purely economic motives, domestic and foreign policy motives now played a central role in Paris. The French franc was to become the key currency of continental Europe and support the hegemonic political ambitions of the Second Empire. Monetary policy, it was argued, had become an instrument of foreign policy. Between 1865 and 1870, the French government held negotiations on joining the Latin Monetary Union with Prussia, the Habsburg Monarchy, the Scandinavian states, and other countries. Monetary policy thus expanded the French government’s foreign policy options. But the instrument also had disadvantages: Whenever a member state got into economic and monetary difficulties (e.g. Italy in 1866), all member states of the monetary union were directly affected. Thus, on the one hand, the monetary union expanded the room for maneuver in foreign policy, but under certain conditions it could also restrict it. This article examines the ambivalent structures and processes of French monetary policy in the overall context of French foreign policy between 1865 and 1914 on the basis of hitherto unpublished sources from French and Italian archives.
Kurz-Bio: Guido Thiemeyer
Guido Thiemeyer ist Lehrstuhlinhaber für Neuere Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Seine Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind die Internationale Geschichte, insbesondere die Geschichte der Europäischen Integration und die internationalen Währungsbeziehungen im 19. und 20. Jahrhundert.
E-Mail: guido.thiemeyer@hhu.de