Cécile Stephanie Stehrenberger
Umkämpftes »Volksgetränk«. Die Geschichte der Milchkommission der Stadt Luzern und Umgebung, 1944-1973
Der Konsum und Vertrieb von Kuhmilch war in der Stadt Luzern im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts Gegenstand von einerseits in Massenmedien geführten öffentlichen Debatten und andererseits von alltäglichen Auseinandersetzungen, zu denen es etwa im Rahmen der Auslieferung von Milch an Privathaushalte kam. Es handelte sich um regelrechte Milchkämpfe, die der Artikel anhand von Archivalien der Milchkommission der Stadt Luzern und Umgebung untersucht. Diese war dafür zuständig, die Einhaltung von Reglements zu überwachen, mit denen der Milchverkauf reguliert wurde, und die Beschwerden unzufriedener Konsument_innen entgegen zu nehmen. Der Fokus liegt auf drei Problemfeldern, die Anlass für besonders heftige Zerwürfnisse waren: die standardisierte Pasteurisierung von Milch, die Heimlieferung von Milch und die Liberalisierung des Milchverkaufs in den Supermärkten der Migros-Genossenschaft.
Es wird gezeigt, dass es bei der Frage, wie, welche Art von Milch verkauft und konsumiert werden sollte, wesentlich um das Verhältnis von Staat, Bevölkerung und Bürger_innen ging. Die sich daran entzündenden Konflikte waren tief von ineinander verschränkten Ungleichheitsbeziehungen geprägt, die insbesondere entlang der Differenzachsen Geschlecht und Klasse verliefen …
The Contested »People’s Drink«. On the History of the City of Lucerne’s Milk Commission, 1944–1973
During the second third of the 20th Century, the consumption and distribution of cow milk was the subject of heated public debates, but also of everyday altercations that occurred, e.g., during the delivery of fresh milk to private households. This article investigates some of these disputes by analyzing archival documents produced by the »milk commission« of Lucerne that was responsible for supervising the regulation of the milk trade in the city and for following up consumers’ complaints about a specific product or service. It will focus on three particularly controversial issues: the standardized pasteurization of milk, the home-delivery-system and the struggle of the retailer Migros to sell milk in its supermarkets. As I will show, discussions concerning the question of who was supposed to buy and sell what type of milk implied a negotiation of the relationship between state, consumers and citizens. Moreover, I will explore how these discussions were deeply coined by intersecting inequalities that were constituted along axis of social difference such as gender and class.
Kurz-Bio: Cécile Stephanie Stehrenberger
ist Post-Doktorandin am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt, wo sie an ihrem Habilitationsprojekt zur Geschichte der sozialwissenschaftlichen Katastrophenforschung im Kalten Krieg arbeitet.
E-Mail: cecile.stehrenberger@gmail.com