Nr. 75 | in bewegung | Abstract

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Alf Lüdtke

[ DEUTSCH | ENGLISH | Kurz-Bio]

Lebenswelt: verriegelte Welt? Überlegungen zu einem Konzept und seinen Verwendungen

Das philosophische Konzept der Lebenswelt hat eine längere Karriere hinter sich und wird seit den 1990er Jahren auch in der Geschichtswissenschaft häufig verwendet, um das Alltägliche, das Praktische und das Selbstverständliche zu fassen und so das Funktionieren von Herrschaft in unterschiedlichen politischen Systemen zu beschreiben. Der Debattenbeitrag von Alf Lüdtke historisiert zunächst Alfred Schütz‘ intellektuelle Genese der „Lebenswelt“ als Teil der philosophischen Debatten der Zwischenkriegszeit und Schütz‘ eigener Emigrationserfahrung. Der Artikel problematisiert, dass die „Lebenswelt“ zu stark das fraglos Gegebene ins Zentrum stellt. Es wird dabei fixiert und gleichsam eingefroren. Ganz aus dem Blick gerät das Machen und Herstellen, zugleich all das, was jenseits des Horizontes der „Lebenswelt“ zu erkennen oder doch zu vermuten ist. Um dies aufzuzeigen, diskutiert Lüdtke mehrere historische Arbeiten, in denen „Lebenswelt“ als analytisches Konzept verwendet wird. Am Ende stehen vier Vorschläge, um die „verriegelte Lebenswelt“ wieder für gebrochene Entwicklungen und Mehrstimmigkeit zu öffnen.

[ ENGLISCH | DEUTSCH]

Lifeworld: Closed World? Reflections on a Concept and its Usage

The philosophical concept of lifeworld (“Lebenswelt”) has seen a considerable career and is used frequently in historiographical works since the 1990s in order to grasp the practical, everyday experiences and the self-evident in order to explain social coherence and governance in various political systems. The article discusses the intellectual development of the concept by Alfred Schütz within the context of prominent philosophical debates of the interwar years, not least Heideggers existentialism, and Schütz’ personal history of emigration. The author argues that the lifeworld concept singles out social realities “beyond question”. Thus, these entities become fixated as if they would be frozen in time. Processes of doing and making “Lebenswelten” get out of sight, as is everything that might be discerned or at least imagined beyond their respective horizon. After discussing several historiographical works which use “lifeworld” in their analysis, the conclusion proposes four ways of opening up the “closed lifeworld” for a multiplicity of voices and the brittleness of historical developments.

Kurz-Bio: Alf Lüdtke

war von 1975–2008 Mitarbeiter am damaligen MPI für Geschichte, Göttingen. Seit 1992 hielt er Visiting Professorships in den USA und in Israel, von 1999–2008 war er Professor an der Universität Erfurt und ist seither dort Honorarprofessor. Von 2009– 2013 war er Visiting Distinguished Professor of History, Hanyang University, Seoul. Seit 2015 ist er Associate Fellow am International Research Center »Re:Work – Work and Lifecycle in Global History«, Humboldt­Universität, Berlin. Seine Forschungen und Veröffentlichungen gelten: Herrschaft und Gewalt in der Neuzeit; Praxis und Erfahrung von Arbeit; dem »Mitmachen«, zumal im Nationalsozialismus, aber auch dem »Hinnehmen« in der DDR. Weitere Schwerpunkte sind Visualität im 20. Jahrhundert und Konzepte von Alltagsgeschichte.

E­Mail: alf.luedtke@t-­online.de

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