Frank Biess
Die Sensibilisierung des Subjekts: Angst und »Neue Subjektivität« in den 1970er Jahren
Der Artikel untersucht die Verbindung zwischen einer zunehmenden Verbreitung von Ängsten in den 1970er Jahren und der Genese einer neuen Form von Subjektivität. Die Proliferation der Ängste in den 1970er Jahren resultierte nicht nur aus dem Anwachsen durchaus realer Gefahren im Zeitalter von Wirtschaftskrise, Umweltzerstörung und Terrorismus. Die gefühlte Allgegenwart der Angst war auch das Produkt einer neuen angstbesetzten Subjektivität, die erst die Wahrnehmungsraster schuf, über die sich die Bedeutung dieser Gefahren für das Individuum erschloss. Der Aufsatz historisiert diese Sensibilisierung des Selbst in den 1970er Jahren im Kontext der längeren Angstgeschichte der Bundesrepublik. So verschoben sich die Angstobjekte zunehmend von äußeren, durch den Kalten Krieg bestimmten Gefahren, hin zu inneren Bedrohungen, die sowohl die physische und psychische Integrität des Subjekts zu gefährden schienen wie auch aus diesem herausdrangen. Der Aufsatz analysiert diese Verschiebung des emotionalen Regimes und der Subjektkultur anhand von drei Kontexten: der internationalen Situation, insbesondere der Entspannungspolitik; der Erinnerungskultur; und Körperdiskursen, insbesondere im Hinblick auf Krankheiten wie Krebs. Im Anschluss daran interpretiert der Aufsatz das Entstehen einer „therapeutischen Gesellschaft“ auch als eine Reaktion auf diese Genese eines angstbesetzten Selbst. Der Aufsatz schließt mit einem Ausblick auf die (Re-) Politisierung angstbesetzter Subjektivitäten im Kontext der politischen Auseinandersetzungen der 1980er Jahre.
Sensitive Selves: Fear and ‘New Subjectivity’ in the 1970s
This essay connects the proliferation of fear and anxiety in the 1970s to the emergence of new forms of subjectivity. The ubiquity of fear and anxiety was not just the product of newly emerging real or perceived external threats (economic crisis, terrorism, environmental damage) but also resulted from a new sensibility that rendered these threats meaningful for individual subjects. The sites of fear and anxiety increasingly moved from external Cold War threats to “inner” threats that both emanated from within subjects and were perceived to threaten individual subjects’ psychic and bodily integrity. The article documents this shift in West German emotional regimes and subjectivities within the realm of international relations, commemorative cultures, and body discourses. It discuses new conceptions of security as responses to the proliferation of anxiety, and it points to the implications of this new subjectivity centered on anxiety for the politics of the 1980s.
Kurz-Bio: Frank Biess
Frank Biess ist Associate Professor für deutsche und europäische Geschichte an der University of California-San Diego und derzeit Forschungsstipendiat der Humboldt-Stiftung an der Universität Göttingen.
E-Mail: fbiess@ucsd.edu