Heidi Tinsman
Feminist Labour History and Marxist Legacies in Latin American Studies
Feministische Arbeitergeschichte und marxistisches Erbe in den Lateinamerika-Studien
Der Aufsatz erörtert die anhaltende Bedeutung materialistischer, insbesondere marxistischer Paradigmen für die lateinamerikanische Arbeiter- und Gender-Geschichte und vergleicht dieses Phänomen mit der Wende zum Post-Strukturalismus und den Kulturwissenschaften in der feministischen Geschichtsschreibung über die USA und Teile Europas. Er vertritt die These, dass die Unterschiede zwischen den Paradigmen und ihren zeitlichen Abläufen unmittelbar mit den jeweils spezifischen Auswirkungen der Politik des Kalten Krieges auf Lateinamerika, die USA und Europa – und in der Folge mit unterschiedlichen Einflüssen feministischer gesellschaftlicher Bewegungen auf die akademische Forschung – in Verbindung stehen.
Der Aufsatz legt nahe, dass die relative Langlebigkeit marxistischer Theorie in den feministischen Studien Lateinamerikas von der Eskalation der Polaritäten während des Kalten Krieges in Mittel- und Südamerika in den 1980er Jahren herrührt – einem Jahrzehnt, in dem sich parallel in den USA und Europa zumindest der partielle Niedergang radikaler Politik und marxistischer Paradigmen ankündigte. Innerhalb der lateinamerikanischen Forschung entwickelten sich Feministische Studien und Ethnic Studies in enger Anlehnung an linke demokratische Bewegungen und/oder an sozialrevolutionäre Projekte, die sich der materialistischen Analyse und modernistischen Paradigmen verschrieben hatten. Sie neigten angesichts der entstehenden poststrukturalistischen Paradigmen im Norden, die die Nation in Frage stellten, zu einer defensiven Position (oftmals in problematischer Weise).
Neuerdings hat die feministische Geschichtsschreibung in Lateinamerika – insbesondere Studien zur Arbeitergeschichte – Aspekte des Poststrukturalismus, des Postkolonialismus, der Psychoanalyse und des linguistic turn berücksichtigt. Allerdings wurden diese in hybriden Formen inkorporiert, die in vielen Fällen marxistische Konzepte beibehalten oder transformieren. Auf diese Weise sind anregende methodologische Paradigmen für feministisch-materialistische Ansätze entstanden, vor allem im Hinblick auf vier Forschungsfelder: die Formierung von Gender und Staat, Gender und Transnationalismus, Sexualität und Klasse sowie auf nationale Formierungen von race. Die zweite Hälfte des Aufsatzes ist der Besprechung von Schlüsseltexten aus jedem dieser Felder gewidmet.
Feminist Labor History and Marxist Legacies in Latin American Studies
This essay discusses the enduring importance of materialist, and especially Marxist, paradigms to Latin Americanist histories of gender and labor, and compares this with the more post-structuralist and cultural studies turn of feminist history on the US and parts of Europe. It argues that the differences between the paradigms and their timings are directly related to the distinct Cold War political contexts facing Latin America, the US, and Europe and, in turn, by the different impacts of feminist social movements on the academy.
The essay proposes that the longer life of Marxist theory in Latin Americanist feminist scholarship stems from the escalation of Cold War polarities in Central and South America during the 1980s, a decade that heralded at least the partial eclipse of radical politics and Marxist paradigms in the US and Europe. Within Latin Americanist scholarship, feminist studies and ethnic studies developed in close tandem with leftist pro-democracy movements and/or socialist revolutionary projects that were deeply committed to materialist analysis and modernist paradigms. They tended to be defensive (often problematically so) toward the emerging post-structuralist paradigms in the North that were calling the nation into question.
More recently, Latin Americanist feminist history, especially histories of labor, have embraced aspects of post-structuralism, post-colonialism, psychoanalysis and other insights of the “linguistic turn,” but have been incorporated in hybrid forms that in many cases retain and transform Marxist concepts without jettisoning them. This has produced exciting methodological paradigms for feminist-materialist approaches to four conceptual areas in particular: gender and state-formation, gender and transnationalism, sexuality and class, and national racial formations. The second half of the paper is devoted to a review of key texts in each of these areas.
Kurz-Bio: Heidi Tinsman
Associate Professor am History Department an der University of California/ Irvine, USA.
E-Mail: hetinsma@uci.edu