Karwan Fatah-Black / Matthias van Rossum
Sklaverei in einer »sklavenfreien Enklave«? Historische Verbindungen zwischen der Niederländischen Republik, dem Alten Reich und der Sklaverei (ca. 1580–1860er)
Im 17. und 18. Jahrhundert waren die Niederlande das Zentrum eines Wirtschaftsimperiums, das Europa, Asien und den Atlantik miteinander verband. In Europa war die Republik das Ziel von Millionen europäischer Wanderarbeiter. Viele von ihnen zog es in die überseeischen Gebiete der Niederlande. Die Republik war auf der ganzen Welt durch ihre Marine sowie durch private Kaufleute und deren angeheuerte Handelsgesellschaften präsent. Diese agierten häufig in der Grauzone zwischen Handel und Krieg. Die ältere Forschung hat stets behauptet, dass die Niederländische Republik eine „sklavenfreie Enklave“ gewesen sei. Außerdem konzentrierten sich WirtschaftshistorikerInnen auf die Niederlande selbst und hoben die Republik als „erste moderne Wirtschaftsmacht“ hervor. Charakteristisch seien hierbei der freie Arbeitsmarkt, verlässliche Institutionen sowie ein anhaltendes wirtschaftliches Wachstum gewesen. In dieser traditionellen Sichtweise werden Unterdrückung und Versklavung in Übersee als fremde Anomalie betrachtet. Allerdings waren Sklavenhandel, der Besitz von Sklaven sowie eine auf Sklaven basierende Produktion ein Charakteristikum der von den Niederlanden kontrollierten Besitzungen im Atlantik und in Asien. Die Geschichte dieser Länder fand für gewöhnlich in den Niederlanden wenig Beachtung. Die Frage, inwieweit die Sklaverei die frühneuzeitliche Niederländische Republik wirtschaftlich, kulturell und politisch beeinflusste, blieb unbeantwortet. Das Hauptanliegen dieses Artikels ist es, genau dieser Frage nachzugehen statt sie weiter unberührt zu lassen. Die wissenschaftliche Debatte dazu hat gerade erst begonnen. Sie konzentriert sich auf die Verbindungslinien und den Einfluss der Sklavereien in Asien und dem Atlantik auf die Niederländische Republik. Dieser Artikel befasst sich zunächst mit der globalen Geschichte der Sklaverei und dem Sklavenhandel im Niederländischen Imperium. In einem zweiten Schritt werden die Auswirkungen der Sklaverei auf die Republik anhand von drei ineinandergreifenden Bereichen beurteilt: erstens, der wirtschaftliche Einfluss von Sklavenhandel und von Produkten, die auf Sklavenarbeit basieren, auf die Republik, zweitens, der Einfluss sowohl der Einwanderung nach und der Binnenwanderung von Sklaven in den Niederlanden und drittens, die sozialen und kulturellen Auswirkungen der Sklaverei und des Sklavenhandels auf die Republik. Der Artikel kommt zu dem Schluss, dass die Sklaverei in den Niederlanden sowohl als Institution als auch als gängige Praxis sehr präsent war. Die Sklaverei hatte starke Auswirkungen auf die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklungen in Übersee und im Inland.
Slavery in a »Slave Free Enclave«? Historical Links Between the Dutch Republic, Empire and Slavery, 1580s–1860s
In the seventeenth and eighteenth century, the Dutch Republic was the centre of a worldwide economic and political empire connecting Europe, Asia and the Atlantic world. In Europe, the Dutch Republic was the destination of millions of European migrant labourers, many of whom moved to overseas domains. Throughout the globe, the Republic was present through its navy, its private merchants and its chartered trading companies, often operating on a thin line between engaging in trade and waging war. Traditional historiography claimed the Dutch Republic as a ‘slave free enclave’. In addition, economic histories have focussed on the Dutch Republic as the ‘first modern economy’, characterised by free labour markets, dependable institutions and sustained economic growth. In this traditional view the overseas use of coercion and enslavement are seen as a foreign anomaly. Slave trade, slave ownership and slave-based production, however, were systematic in both the Atlantic and Asian settlements under Dutch rule. These histories have often remained overseas histories. The question of how slavery impacted the early modern Dutch Republic economically, politically and culturally has been left unanswered. This article, rather than shying away from these issues, takes them as the centre of a debate that is only now starting. It focuses on the interconnections and impact of slavery in both Asia and the Atlantic on the Dutch Republic. The article first outlines the global history of slavery and slave trade in the Dutch empire. After this, it assesses the impact of slavery on the Republic in three interrelated domains: first, the economic impact on the Republic of overseas slave trade and slave related production; second, the impact of slaves traveling in and to the Republic; third, the social and cultural impact of slavery and slave trade on the Republic. It concludes that slavery was very much alive in the Dutch Republic both as an institution and as a common practice. Slavery had a strong impact on the economic, social and cultural developments overseas and at home.
Kurz-Bio: Karwan Fatah-Black / Matthias van Rossum
Karwan Fatah-Black
Frühneuzeithistoriker, hat zu Suriname in der atlantischen Welt der Frühen Neuzeit promoviert, forscht und lehrt jetzt am Institute for History an der Universität in Leiden (Niederlande). Forschungsschwerpunkte sind die holländische Expansion nach Übersee in der Frühen Neuzeit, die Geschichte des Sklavenhandels und der Sklaverei in den niederländischen Kolonien, Schmuggel und Schmugglerbanden.
E-Mail: k.j.fatah@hum.leidenuniv.nl
Matthias van Rossum
Neuzeithistoriker, hat zur Dutch East India Company (VOC) und den sozialen und interkulturellen Beziehungen zwischen europäischen und asiatischen Seeleuten promoviert (Werkers van de wereld, Hilversum 2014), forscht und lehrt jetzt am Institute for History an der Universität Leiden (Niederlande). Forschungsschwerpunkte sind Social and Economic History, Global history und Labour History
E-Mail: mvr@iisg.nl