Stefan Mörchen
»Echte Kriminelle« und »zeitbedingte Rechtsbrecher«: Schwarzer Markt und Konstruktionen des Kriminellen in der Nachkriegszeit
Der Beitrag untersucht, wie sich die weite Verbreitung der Schwarzmarkt- und Eigentumskriminalität in der unmittelbaren Nachkriegszeit auf Konstruktionen des Kriminellen auswirkte. Die Tatsache, dass die Überlebensmoral und das Alltagshandeln der Bevölkerung sich weit von rechtlichen Normen entfernte, wurde von vielen zeitgenössischen Kommentatoren als Zeichen eines allgemeinen moralischen und sozialen Zusammenbruchs interpretiert. Der Beitrag fragt, inwieweit sich unter diesem Eindruck Feindbilder des Kriminellen aufrecht erhalten ließen, die Kriminalität als ein Problem krimineller Gruppen außerhalb der Gesellschaft verorteten. Der Befund ist zweigeteilt. Einerseits standen Feindbilder wie das des „Gewohnheitsverbrechers“, des „Asozialen“, des „verwahrlosten Jugendlichen“ und des „kriminellen DPs“ im Fokus der polizeilichen Wahrnehmung und diskursiver Konstruktionen der Nachkriegskriminalität; andererseits wurden gerade die gesamtgesellschaftliche Ausbreitung der Kriminalität und das Verwischen der Grenzen zwischen normalem und deviantem Verhalten als besonders bedrohlich wahrgenommen. Beide Wahrnehmungen ließen sich in eine symbolische Vorstellung der Gesellschaft als „Volkskörper“ oder „Gemeinschaftskörper“, der sich der Kriminalität wie einer Krankheit erwehren musste, integrieren.
The Black Market and Constructions of Criminality in Postwar Germany
This paper examines constructions of criminality in postwar Germany, when a majority of the urban population engaged in illicit activities on an everyday basis. It asks whether stereotypes of „criminal elements“ led to a view of black-market criminality as something that threatened society from without, or whether law-breaking by „ordinary“ Germans on a scale that seemed to signal a moral disintegration of German society as a whole blurred these images of criminal outsiders. The evidence is ambivalent: On the one hand, the police, criminologists, German and Military Government officials and the press targeted „foreign elements“ and „social misfits“ as black market activists. Attempts of the police to reimpose law and order fell back on – and strengthened – images of „professional criminals“, „asocials“, and „juvenile delinquents“ as well as on racist and anti-Semitic stereotypes. On the other hand, however, many contemporary commentators identified a perceived diffusion of criminality and the blurring of lines between normal and deviant behavior as the greatest threat to society. Both notions coexisted in a symbolic universe centered around a view of society as an organism, the „Volkskörper“ or „Gemeinschaftskörper“, whose purity seemed threatened by „criminal and/or foreign elements“.
Kurz-Bio: Stefan Mörchen
Stefan Mörchen
Historiker, promoviert in Bremen mit einer kriminalitätsgeschichtlichen Arbeit zum Schwarzen Markt
E-Mail: moerchen@uni-bremen.de