Nr. 84 | monogamie | Abstract

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Julia Moses

[ DEUTSCH | ENGLISH | Kurz-Bio]

Recht, Liebe und die Grenzen von Liberalismus: Normierung von Heirat und Monogamie im Deutschen Reich

Im Gefolge der Gründung des deutschen Reiches im Jahre 1871 entspann sich eine Debatte über Ehe und Familie als Grundlage des neuen Staatswesens. Die Grundannahme dieser Debatten war, dass sich die Familie auf einer monogamen Ehe gründete – diese Annahme war so weit verbreitet, dass sie meist angenommen, aber nur selten explizit ausgesprochen wurde. Sie wurde nur dann sichtbar, wenn man sich mit dem Anderen konfrontiert sah: entweder in kolonialen Zusammenhängen, in der Auseinandersetzung mit Bigamisten, die man als kriminell einstufte oder mit Lebensreformerinnen oder -reformern am Rande der bürgerlichen Gesellschaft. Indem die Debatten über Ehe und Familie Fragen der ‘Zivilisation’ und den menschlichen Fortschritt verhandelte, fungierten sie als Schnittstelle zwischen Heimatgesellschaft und Kolonien in Übersee. Dieser Artikel wertet Rechtsprechung, sozialwissenschaftliche Schriften, Traktate von Sozialreformern und Missionaren sowie die regierungsamtliche Überlieferung aus. Er kommt zu dem Ergebnis, dass deutsche Akteurinnen und Akteure Monogamie implizit als Norm im Zusammenhang der Heimatgesellschaft anerkannten, dass sie aber bereit waren, diese Grenzen im Zusammenhang kolonialer Herrschaft deutlich weiter zu ziehen. Diese Wahrnehmung der Kolonialgesellschaften ergab sich aus einer rassistischen Optik religiöser Differenz, welche im Gewand eines liberalen Imperialismus den autochthonen Gesellschaften der deutschen Kolonien ihre eigenen Traditionen von Ehe und Familie zubilligte.

[ ENGLISCH | DEUTSCH]

Law, Love, and the Limits of Liberalism: Marital Norms and Monogamy in the German Empire

The creation of Imperial Germany in 1871 sparked a nationwide debate about the nature of marriage and the family. Behind these discussions was a common assumption: families were anchored in monogamous marriage. The assumption was so widely held that it was, with few exceptions, unspoken. It was revealed only in exceptional instances, for example, in confrontation with colonial others, bigamists who were deemed criminals or life reformers living on the fringes of mainstream society. By tapping into a discourse about civilization and human progress, it also linked discussions about the homeland and its overseas Empire. Drawing on a matrix of jurisprudence, social-scientific writings, tracts by social reformers, missionaries and government discussions, this article suggests that Germans embraced monogamy as the tacit rule of marital life within the boundaries of the metropole. Nonetheless, monogamy as a marital standard did not apply consistently within Germany’s overseas colonies. Instead, understandings of racial and religious dif ference, couched in a specific logic of imperial liberalism, predominated and meant that indigenous people were often left to continue their own family practices.

Kurz-Bio: Julia Moses

Julia Moses ist Reader in Modern History an der University of Sheffield. Ihre Forschungsinteressen liegen in moderner europäischer Geschichte, insbesondere in Rechtsgeschichte, dem Wohlfahrtstaat und der Familie. Derzeit arbeitet sie an einem Buchprojekt mit dem Titel Civilizing Marriage. Nation, State and Family in the German Empire.
E-Mail: j.moses@sheffield.ac.uk  

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