Das Konzept der monogamen Ehe kann wie ein »Gelenk« zwischen Geschlechterbinarität und Heteronormativität verstanden werden: Das eine ist (oder scheint) ohne das andere nicht denkbar. Ob und wie sich das mit der »Ehe für alle« verändert, muss hier offenbleiben.
Das Verhältnis von Einehe und Bigamie, also der Ehe mit zwei Personen, loten Andrea Griesebner und Margareth Lanzinger in ihrem Beitrag zu Logiken der Bigamie in der Frühen Neuzeit aus und beschreiben den obrigkeitlichen Umgang mit Doppelehen. Diese fußen auf dem christlichen Verständnis, dass eine Ehe nur zwischen einem Mann und einer Frau bestehen kann. In den gerichtlichen Verhandlungen geht es vor allem um Ehen, die im zeitlichen Nacheinander und an unterschiedlichen Orten geschlossen wurden. Die auf Bigamie gerichtete Perspektive des Beitrags macht sichtbar, dass die normative Matrix der christlichen Ehe nicht nur auf der diskursiven Ebene, sondern auch in der Praxis herausgefordert wurde.
Von der Frage ausgehend, wie Polygamie von Kolonialbeamten und Missionaren in den deutschen Kolonien in Afrika problematisiert wurde, kommt Ulrike Schaper zu dem Befund, dass die »Polygamiedebatte« nicht nur die Bereiche Familie, Sexualität und Moral betraf, sondern auch mit der ökonomischen und politischen Entwicklung der Kolonien verknüpft wurde. Kolonialregierung wie christliche Missionen sahen in der Polygamie ein Hindernis für ihr koloniales bzw. missionarisches Projekt. Im Versuch, soziale Ordnungen nicht zu destabilisieren, wurden Mehrehen nicht sofort aufgelöst. Weil insbesondere die weibliche Sexualität als bedrohlich empfunden wurde, sollte diese an eine monogame oder polygame Ehe gebunden bleiben.[6] Der Beitrag zeigt, wie vor Ort die Eindeutigkeit angesichts vielfältiger Herausforderungen verschwamm und Missionen wie Kolonialregierung eher pragmatische und vorläufige Lösungen anstrebten.
Julia Moses zeigt, in und mit welchen Abgrenzungsrhetoriken die monogame Ehe mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) rechtlich verankert wurde. Debatten über Ehe und Familie fungierten dabei als Schnittstelle zwischen Heimatgesellschaft und Kolonien in Übersee. Die Autorin wertet in ihrem Artikel Rechtsprechung, sozialwissenschaftliche Schriften, Traktate von Sozialreformern und Missionaren sowie die regierungsamtliche Überlieferung aus und kommt zu dem Ergebnis, dass deutsche Akteur*innen Monogamie implizit als Norm im Zusammenhang der Heimatgesellschaft anerkannten, dass sie aber bereit waren, diese Grenzen im Zusammenhang kolonialer Herrschaft deutlich weiter zu ziehen. Diese Wahrnehmung der Kolonialgesellschaften ergab sich aus einer rassistischen Optik religiöser Differenz, welche im Gewand eines liberalen Imperialismus den autochthonen Gesellschaften der deutschen Kolonien ihre eigenen Traditionen von Ehe und Familie zubilligte.
Wie Monogamie und Sexualität in der homosexuellen Bewegung diskutiert wurden, zeigen Adrian Lehne und Veronika Springmann in ihrem Beitrag. Sie thematisieren, wie Monogamie als Weg zu Respektabilität und Verantwortung für schwule Männer diskutiert wurde. Das Narrativ des promisken schwulen Mannes wurde im Verlauf oder als Folge der AIDS-Krise durch eine Debatte abgelöst, in der Verantwortung und Sexualität, auch außerhalb von Paarbeziehungen, miteinander verknüpft wurden.
Auf unterschiedliche Weise und epochenübergreifend zeigt das Themenheft, dass es in den Debatten und Diskussionen um Monogamie oder monogame Ehe auch um die (Re-)Produktion von Geschlecht und Geschlechterverhältnissen ging, um die Einhegung von Sexualität – und schließlich um die Frage der Reproduktion. Eine Beschäftigung mit Monogamie oder monogamer Ehe geht über eine Auseinandersetzung mit Beziehungsformen hinaus; sie gibt Auskunft über das Verhältnis des Staates oder der Obrigkeit zu seinen Bürger*innen bzw. Untertanen – aber auch darüber, mit welchen Othering-Prozessen Monogamie bzw. monogame Ehe gerechtfertigt wurde und werden musste.
In »Schnitt im Kopf« berichten Andrea Althaus et al. in der Rubrik Werkstatt aus einem Forschungsprojekt, das sich mit der Aufarbeitung von Genitaloperationen an Kindern mit biologischen Geschlechtsvarianten am Kinderspital Zürich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschäftigt hat. Auf Interviews mit Betroffenen basierend zeigen die Autor*innen vor allem die Bedeutung von Kommunikation und Tabuisierung für den weiteren Lebensweg von Kindern mit Disorders of Sex Development.
Mit gesellschaftlichen Risikodiskursen rund um die Nutzung von Kernenergie befasst sich Sascha Brünig. Hierfür nimmt er kernenergiebefürwortende Akteur*innen der deutschen Atomwirtschaft in den 1980er und frühen 1990er Jahren in den Blick. Diese, so die These des Autors, passten ihre Argumentationen und Öffentlichkeitsarbeit an die zeitgenössischen Erschöpfungs- und Unsicherheitsdiskurse an und erschlossen der Kernenergie auf diesem Wege ganz eigene Zukunftsperspektiven.
Der zum fünften Mal von WerkstattGeschichte vergebene Essaypreis geht dieses Mal an Christian Wachter und seinen Essay mit dem Titel »Hypertext – ein logisches Revival für das Erzählen von Geschichte«. Mit einer ehrenvollen Erwähnung hat die Jury zudem die Einsendung von Anna Karla »Geschichte schreiben. Eine Aufforderung in fünf Schritten« ausgezeichnet. Angeregt durch die Themenvorgabe »Experimente bitte! Geschichte anders schreiben« seziert Wachter die Euphorie über die neuen experimentellen Möglichkeiten des Schreibens im digitalen Raum in Form des Hypertexts, unterzieht diese Experimente der Kritik und greift sie dennoch für einen neuen Vorschlag, Geschichte zu erzählen, auf. Der Essay von Karla ist in Form eines Drehbuchs geschrieben. Im Dialog verschiedener historischer und typologischer Figuren wird eine historiografische Suchbewegung aufs Korn genommen, die sich zwischen wissenschaftlicher Selbstvergewisserung und dem Neuen des digitalen Zeitalters bewegt.
Unter der Rubrik Dingfest befasst sich Sophie Kühnlenz mit einer Bügelmaschine (Heißmangel), die 1966 produziert wurde und sich heute in der Sammlung Haushaltstechnik des Technischen Museums Wien befindet. An diesem Beispiel diskutiert die Autorin die Rolle von Haushaltsobjekten, deren gegenderte Nutzungsgeschichte und geschlechtsspezifische Markierung im Museum selbst.
Die Expokritik ist diesmal keiner einzelnen Ausstellung gewidmet. Stattdessen werden Sammlungsstrategien und virtuelle Präsentationen deutscher Museen zum Alltag in der durch das Corona-Virus verursachten Pandemielage seit Frühjahr 2020 analysiert. In vergleichender Perspektive wird auch auf parallele Aktivitäten in europäischen Nachbarländern besonders in Tschechien eingegangen.
Veronika Springmann, Martin Lücke und die Redaktion
[1] Serie: Realité (fotographiert von Marcelle Fantel).
[2] Vgl. Sarah Wilson, Michel Journiac’s Masquerades. Incest, Drag and the Anti-Oedipus, in: Claudia Benthien/Inge Stephan (Hg.), Männlichkeit als Maskerade. Gender Studien mit Blick auf den Mann, Köln 2003, S. 128–153.
[3] Husband wakes up. Housework. Washing. Going out. Arriving at work. Clocking in. Work. Fixing make up 1. Fixing make up 2. The midday meal. Coffee. Cigarette. Shopping 1. Shopping 2. The purchase (Tampax). Cooking Husband arrives. Evening meal 1. Evening meal 2. Washing up. In bed 1. In bed 2. In bed 3 (no action, the husband reads a newspaper in all three photos). Dream waiting 2, Dream waiting 3, Dream lover.
[4] Vgl. bspw. Christoph Neumaier, Familie im 20. Jahrhundert. Konflikte um Ideale. Politiken und Praktiken, Oldenbourg 2019; Christoph Lorke, Liebe verwalten. »Ausländerehen« in Deutschland (1870–1945), Paderborn 2020.
[5] Vgl. Christoph Klesse, Polyamory, Intimate Practice, Identity or Sexual Orientation, in: Sexualities 17 (2014), S. 81–99; Franz X. Eder/Stefan F. Ossmann, Forschungsprojekt Polyamorie in sozialer, medialer und Identitätsperspektive, https://polyamorie.univie.ac.at/ (letzter Zugriff 14.7.2021); Stefan F. Ossmann, Introducing the New Kind on the Block. Polyamory, in: Zowie Davy/Ana Cristina Santos/Chiara Bertone/Ryan Thoreson/Saskia E. Wieringa (Hg), Handbook of Global Sexualities, Bd. 1, London 2020, S. 363–385.
[6] Vgl. zur Verknüpfung von Race, Gender und Sexualität Anne McClintock, Imperial Leather. Race, Gender and Sexuality in the Colonial Contest, New York 1995.