Editorial: Nr. 79 | arbeit / freizeit

Siegerin in der Disziplin „belegte Brote streichen“ des Wettbewerbs „Hausfrau des Jahres 1969“ in der Kieler Ostseehalle. Stadtarchiv Kiel, Bildnachlass Friedrich Magnussen (1914–1987), Fotograf: Friedrich Magnussen, Signatur: 21.948, Lizenz CC BY-3.0 SA DE

Die Geschichte der Freizeit kann nicht ohne die Geschichte der Arbeit geschrieben werden – und umgekehrt. Beide Konzepte sind diffus und vieldeutig, beide umfassen ganze Bündel von Tätigkeiten, aber bleiben zugleich aufeinander bezogen. Ihr Verhältnis ist durch wechselseitige Ausschließung, Überlappungen und Wirkungen geprägt. Als Dichotomie bildet Arbeit/Freizeit einen wirkmächtigen Ordnungsversuch, mit dem der Zeitgebrauch sozialer Gruppen eingeteilt, bewertet und hierarchisiert wird. Wir wollen in diesem Themenheft der Wirkmacht dieser Dichotomie nachgehen, wobei die Beiträge nachdrücklich zwei ihrer zentralen Folgen aufzeigen: Erstens die geringe Sichtbarkeit von und das fehlende Vokabular für eine Beschreibung von Tätigkeiten, die sich nicht in die Dichotomie von Arbeit/Freizeit einordnen lassen und dementsprechend wenig Anerkennung erfahren. Zweitens die Attraktivität dieser Zweiteilung, die Menschen dazu verleitet, Formen des Zeitgebrauchs einer der beiden Kategorien zuzuordnen. Dabei erweist sich die Dichotomie Arbeit/Freizeit als gleichermaßen stabil und flexibel. Sie erlaubt vielfältige Begründungen, warum eine Tätigkeit als Arbeit oder als Freizeit zu gelten habe (oder eben nicht), bleibt aber als ordnendes Begriffspaar unverändert bestehen.

Auch die Forschungstraditionen zu den Narrativierungen von Arbeit und Freizeit sind zum einen eng miteinander verknüpft, zum anderen aber auch klar voneinander getrennt. [1] Die Geschichte des Denkens und Sprechens über Arbeit, ihrer Definitionen und Bewertungen, weist eine lange Tradition auf. Ihrer Erforschung widmen sich nicht nur HistorikerInnen, sondern auch PhilosophInnen, TheologInnen, LiteraturwissenschaftlerInnen und VertreterInnen anderer Kulturwissenschaften. Empirisch fundierte Beiträge zur Diskursgeschichte der Arbeit kamen meist von SpezialistInnen einzelner historischer Perioden und Kulturen. Sie waren aber eingebunden in epochenübergreifende Narrative, die auf der Annahme linearer Entwicklungen oder auch langer Zyklen des Wandels zwischen Verachtung und Verherrlichung von Arbeit bzw. umgekehrt von Nicht-Arbeit oder Muße beruhen.

Erst in den letzten Jahrzehnten haben sich differenziertere Sichtweisen durchgesetzt. Sie zeigen als Grundton der europäischen Arbeitsdiskurse seit der Antike, über alle Perioden hinweg, die Hegemonie positiver, normativ verfestigter Einstellungen zur Arbeit: Arbeit als Notwendigkeit, als Pflicht, als Bürde, aber auch als Mittel zur Förderung von Geist und Körper sowie als Vergnügen. Sie zeigen zugleich die kontinuierliche Existenz von Gegenstimmen, die den Arbeitsdiskurs als andauernden Aushandlungsprozess von widersprüchlichen Positionen erscheinen lassen. Vor allem aber versuchen sie, derartige Aushandlungsprozesse mit den Strukturen und Veränderungen des sozialen Gefüges der jeweiligen Gesellschaften zu verbinden, mit den Bedürfnissen und Interessen unterschiedlicher sozialer Gruppen, besonders solcher, die ihre Stellung verändern, im Aufstieg oder Abstieg begriffen sind, oder dies erhoffen oder befürchten. [2] Die neueren Forschungen zur Geschichte [3] der Arbeitsdiskurse zeigen auch, dass das Aushandeln von Arbeit untrennbar mit dem Aushandeln von Nicht-Arbeit bzw. arbeitsfreier Zeit verbunden war, dass beide Konzepte flexibel gehandhabt wurden, und damit die Grenzen zwischen ihnen, trotz der normativen Dichotomie, durchlässig blieben. Erst zögerlich fängt der europäische Forschungsdiskurs an, sich über die europäische Geschichte und Perspektive hinausgehend zu orientieren. [4]

In der Geschichtsschreibung der Arbeit als Praxis spielte und spielt Freizeit dagegen eine geringe Rolle. Hier dominiert der Blick auf Arbeitsplätze, Arbeitsbeziehungen und konkrete Arbeitstätigkeiten. Dasselbe spiegelt sich in der Historiografie der Freizeit. Sie ist überwiegend an Praktiken jenseits von Arbeitswelt und Arbeitszeit interessiert, an spezifischen Tätigkeiten, die unter dem Begriff der Freizeit subsumiert werden (können), an zeit-, ort- und schichtspezifischen Freizeitkulturen. Die traditionelle Annahme war, dass vor der Industriellen Revolution weder eine zeitliche noch eine räumliche Trennung zwischen Arbeit und Freizeit bestand, sondern Überlappungen diverser arbeits- und nicht-arbeitsbezogener Tätigkeiten das Leben im vormodernen Europa prägten. Die neuere Forschung hat sich dagegen bemüht, Zeiten und Räume zu identifizieren, die seit dem späten Mittelalter – und verstärkt in der frühen Neuzeit – für Tätigkeiten fernab der Arbeit genutzt wurden, zum Beispiel für Spiel, Sport oder einfach das Pflegen von sozialen Kontakten: Die villegiatura der italienischen Oberschichten der Renaissance; der Spaziergang an der Nordsee der reichen HolländerInnen des 17. Jahrhunderts; das alehouse als neuer Mittelpunkt des geselligen Lebens in englischen Dorf- und Kleinstadtgemeinden seit dem 16. Jahrhundert usw. [5] Diese Prozesse waren mit einer zunehmenden Kommerzialisierung der Freizeit verbunden.

Die einschlägigen Forschungen zeigen aber auch, dass die entstehenden Räume der Freizeit von unterschiedlichen sozialen Gruppen geschaffen und genutzt wurden. Die Freizeitkulturen der Eliten und der gewöhnlichen Leute entfernten sich voneinander, Freizeit wurde zu einem Feld sozialer Distinktion. Wer bedurfte denn überhaupt freier Zeit, wer war ihrer würdig, wer versprach, aus ihr Nutzen für sich selbst und die gesamte Gesellschaft zu ziehen? An dieser Schnittstelle kehrt der Arbeitsdiskurs in die Geschichte der Freizeit zurück. Die Gelehrten des Humanismus, die erfolgreichen Handelsbürger der Städte, nicht zuletzt große Fürsten des 16. Jahrhunderts, kurz: alle diejenigen, die sich selbst als unermüdlich für das Wohl des Gemeinwesens Arbeitende betrachteten, sie alle bedurften der Freizeit: Jagd, Spiele oder Spaziergänge, um die Gesundheit zu erhalten; ruhige Abendstunden, um nach den profanen Geschäften des Tages in die Sphären des Geistes einzutauchen; ja sogar – wenn auch möglichst kurz – zu schlafen. [6] Die Freizeit der unteren Schichten wurde von den Diskursmächtigen dagegen mit Misstrauen beobachtet. Ein bestimmtes Ausmaß an Rekreation schien unumgänglich zu sein, aber alles, was darüber hinausging, stand im Verdacht leiblicher Ausschweifungen und der Verschwendung. Für die unteren Klassen galt die Arbeit weiterhin als einzig sicheres Mittel zur Aufrechterhaltung von Moral und Lebensunterhalt. Im Puritanismus – aber auch in manchen lutherischen Landeskirchen – spitzten sich die Widersprüche des frühneuzeitlichen Arbeits- und Freizeitdiskurses zu: Zwang zur Arbeitsruhe am Sabbat, deren Übertretung hart bestraft werden konnte, und zugleich Verbot von Freizeitvergnügungen über den Kirchgang und religiöse Erbauung hinaus. [7]

Trotz der Dominanz einer ausgeprägten Arbeitsethik – sei es als Teil eigener Identität, sei es als Zwang gegenüber anderen – blieb aber auch in dieser Periode zugleich die Sehnsucht nach Muße und freier Zeit erhalten. Sie spiegelt sich nicht nur in den »Utopien« der frühen Neuzeit, im Traum vom Schlaraffenland, oder in den Märchen, deren HeldInnen durch Glück und List – aber nicht durch Arbeit – zu Reichtum gelangten, sondern auch in der Idealisierung der Lebensverhältnisse außereuropäischer Gesellschaften, denen die üppige Vegetation ihrer (sub)tropischen Inseln ein zugleich arbeits- und sorgloses Leben zu ermöglichen schien. Derartige Projektionen konnten allerdings schnell von Idealisierung in Stigmatisierung umkippen – und umgekehrt. [8] Dass sie nicht nur der Vormoderne angehören, sondern auch dem 19. und 20. Jahrhundert, zeigt in diesem Heft eindrücklich der Beitrag von Sepp Linhart zu Japan.

Die größten Forschungsdefizite in der Geschichte von Arbeit und Freizeit bestehen, konzeptionell und empirisch, bei den Tätigkeiten und Lebensformen, die sich nicht in nur eine der beiden Sphären integrieren lassen, wo Arbeit und Nicht-Arbeit ineinander verfließen. Dies gilt insbesondere für den Ort des Haushalts. In Haushalten wird das Leben und Überleben von Menschen organisiert, hier vermischen sich Produktion (für den Eigenbedarf und/oder den Markt) mit Reproduktion, bezahlte Arbeit (wie z.B. Heim- oder Dienstbotenarbeit) mit unbezahlter Familienarbeit, mit Erziehung und Pflege. Haushalte sind Arbeitsplätze und Freizeitbereiche zugleich, und in dieser Eigenschaft überspannen sie sogar die Dreiteilung des institutionalisierten Lebenslaufs der westlichen Moderne, vom Aufwachsen der Kinder bis zum Ruhestand. Seit einigen Jahrzehnten haben vor allem die geschlechtergeschichtliche und feministische Geschichtsforschung auf dieses Forschungsdefizit hingewiesen, ohne es schon ausreichend auflösen zu können. [9] Und dieses Defizit besteht nicht nur in Bezug auf das frühneuzeitliche Europa, sondern auch – und vielleicht sogar mehr noch – auf die industrielle Welt. Zum einen hat sich Lohnarbeit als dominantes Arbeitsverhältnis durchgesetzt, in der Regel verbunden mit einer klaren Trennung der Arbeitsorte und Arbeitszeiten von den Zeiten und Orten der Nicht-Arbeit. Zum anderen gehörte die Trennung von Arbeit und Familie, von Öffentlichkeit und privatem Leben, von männlichen und weiblichen Lebens- und Arbeitswelten zu den Grundprinzipien des bürgerlichen Gesellschaftsentwurfs.

Diese Strukturen sind bis heute erhalten geblieben. Den Menschen, so Theodor W. Adorno in seinem polemischen Radiovortrag zur Freizeit aus dem Jahr 1969, sei der »Unterschied von Arbeit und Freizeit als Norm eingebrannt worden«. [10] Er selbst hielt wenig von dieser Unterscheidung. Zu sehr glichen sich in seinen Augen die Tätigkeiten, die als Arbeit und als Freizeit gefasst wurden – zumindest in modernen Industriegesellschaften. Auch heutige BeobachterInnen thematisieren immer wieder das Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit. Wenn sie permanente Erreichbarkeit, Home-Office, Fitnessräume und Yogastunden am Arbeitsplatz diskutieren, geht es dabei in erster Linie um die Risiken und Chancen, die eine »Verwischung der Grenzen« zwischen Arbeit und Freizeit bietet. [11]

Während Adorno die Problematik einer solchen Grenzziehung betont, gehen diejenigen, die von einem Verschmelzen dieser beiden Lebensbereiche sprechen, ganz selbstverständlich davon aus, dass sie im Normalzustand voneinander geschieden sind. Der Freizeit und der Arbeit werden dementsprechend bestimmte Tätigkeiten zugeordnet – mit weitreichenden Konsequenzen. So hängt etwa in modernen Sozialstaaten viel davon ab, ob eine Tätigkeit als Arbeit gilt oder nicht. Je nachdem, ob auf Formularen das Kreuz bei ArbeitnehmerIn, RentnerIn, Auszubildender/m, Hausfrau oder arbeitslos gesetzt wird, eröffnen und verschließen sich Zugänge zu finanziellen Leistungen und Absicherungen. Auf dieses Problem haben beispielsweise die Frauenbewegungen verschiedener Länder hingewiesen, die »Lohn für Hausarbeit« forderten, um den »Liebesdienst« als Arbeit anzuerkennen. [12] Gleichzeitig bestätigten sie mit dieser Forderung aber auch die Gleichsetzung des allgemeinen Arbeitsbegriffs mit der enger gefassten Erwerbsarbeit, die in modernen Industriegesellschaften lange dominierte und erst allmählich aufzubrechen und andere Formen von Arbeit zu inkludieren beginnt.

Bei genauerem Hinsehen verlieren auch vermeintlich klar definierte Zeiträume ihre Eindeutigkeit. Schon lange bevor von einer massenhaften Verwischung der Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit die Rede war, überschritten Menschen diese Grenzen regelmäßig. ArbeitnehmerInnen nutzten Geräte und Materialien am Arbeitsplatz auch für private Zwecke, um beispielsweise Haushaltsgegenstände zu reparieren, Kopien anzufertigen oder um private Telefonate zu führen. [13] Bei manchen Tätigkeiten ist eine eindeutige Zuordnung kaum möglich, beispielsweise bei TheaterärztInnen, die wie alle anderen ZuschauerInnen das Geschehen auf der Bühne verfolgen, aber bei Bedarf medizinische Hilfe leisten müssen. Arbeiten HeimwerkerInnen, oder ist nur die Tätigkeit professioneller HandwerkerInnen so zu nennen? Und ist es Freizeit zu nennen, wenn HistorikerInnen im Urlaub eine geschichtliche Ausstellung besuchen, die Ideen für einen Aufsatz oder eine universitäre Lehrveranstaltung liefert?

Die Unschärfen der auf den ersten Blick so klaren Dichotomie zwischen Arbeit und Freizeit machen es schwer, wenn nicht unmöglich, allgemeingültige Definitionen zu entwickeln, zumal über Epochen- und kulturelle Grenzen hinweg. [14] Die ordnungsstiftende Funktion des Begriffspaares wird jedoch nicht dadurch aufgelöst, dass es je nach Kontext unterschiedlich definiert wird. Die sozialen Folgen dieser Ein- und Zuordnungen sind und waren enorm. [15] Sie schafften Zwänge, Widersprüche und Ungerechtigkeiten. Sie eröffneten aber auch Möglichkeiten, sich im Spannungsfeld von Arbeit und Freizeit zu positionieren oder sogar Grenzen zu verschieben. Diese ordnungsstiftende und ordnungsverändernde Qualität der Dichotomie von Arbeit und Freizeit steht im Zentrum des Themenheftes. Das Begriffspaar Arbeit/Freizeit wird nicht als Abbild von Realität begriffen, sondern als gedankliches und sprachliches Konstrukt, das der wertenden Ordnung von Zeit, Praktiken und Menschen(gruppen) diente. Dabei sind zwei Perspektiven zu unterscheiden: Wertende Einordnungen auf der Basis der Dichotomie Arbeit/Freizeit wurden einerseits an Individuen und soziale Gruppen von außen herangetragen, beispielsweise durch rechtliche Regelungen oder durch die Zumessung von Prestige, die auf Vorstellungen eines richtigen bzw. falschen Zeitgebrauchs basierten. Andererseits nutzten Einzelne wie auch Bevölkerungsgruppen die mit hierarchisierenden Wertungen verbundenen Kategorien zur Selbststilisierung und um Aufmerksamkeit für wahrgenommene Problemlagen zu generieren.

Der Blick auf Berufsoffiziere im deutschen Kaiserreich in Frank Reichherzers Beitrag verbindet beide Perspektiven. Sie waren »immer im Dienst«, arbeiteten aber oft nicht im eigentlichen Sinne, weder in ihrer eigenen Wahrnehmung noch in jener der Öffentlichkeit, die sich zunehmend über die Zeitgestaltung dieser Berufsgruppe mokierte. In der Hochmoderne, deren Lebensweisen durch den zweiten Industrialisierungsschub des späten 19. Jahrhunderts maßgeblich geprägt wurden, schien sie aus der Zeit gefallen.

Während bei Reichherzer eine ganze Berufsgruppe auf dem Prüfstand steht, wendet sich Rósa Magnúsdóttir einem einzelnen Ehepaar und der Stilisierung der eigenen Biografie zu. Das Ehepaar Þóra Vigfúsdóttir und Kristinn E. Andrésson, isländische SozialistInnen und Intellektuelle, setzten sich zeit ihrer Ehe von 1934 bis 1973 für ihre politischen Zielvorstellungen ein. Freizeit von diesem Ziel gab es nicht. Die minutiösen Aufzeichnungen des Ehepaares zeigen, wie sie sich selbst und der Außenwelt gegenüber darauf bedacht waren, jede Grenzziehung zwischen Privatleben und politischer Tätigkeit zu negieren. Was oft als Vorwurf gegenüber kapitalistischen Wirtschaftsordnungen geäußert wurde, [16] wird auch am Leben des eng mit der Sowjetunion verbundenen sozialistischen Paares sichtbar: Jede Form der Erholung war im Dienste der Arbeit, sie diente der (Wieder-)Herstellung der Kräfte und konnte somit aus dem Bereich einer hier negativ konnotierten Freizeit herausgenommen werden.

In Sepp Linharts Beitrag schließlich steht die Wahrnehmung einer ganzen Gesellschaft im Zentrum. Der westliche Blick auf Japan suchte und fand sein Vor- und Gegenbild bei der Organisation von Arbeit und Freizeit. Japan wurde dabei zur Projektionsfläche der Aushandlungsprozesse westlicher Gesellschaften, und wurde so wechselweise als Freizeitparadies oder als Inbegriff der Arbeit und der Überarbeitung begriffen. Insofern sind die Aussagen über JapanerInnen immer auch als Teil eines Legitimierungsdiskurses zu lesen, in dem die Prioritätensetzungen und Zeitordnungen in der eigenen Gesellschaft verhandelt wurden.

Im Jubiläumsheft WerkstattGeschichte 75 haben wir eine Interviewreihe zu Geschichtsinitiativen und Geschichtspolitik begonnen. In diesem Heft setzen wir diese mit einem Interview mit Elke Hartmann von Houshamadyan, einem Onlinearchiv zur Geschichte der ArmenierInnen im Osmanischen Reich, fort.

Für unsere Filmkritik hat sich Maxi Braun noch einmal Steven Spielbergs Jurassic Park angeschaut und dabei festgestellt, dass die special effects gut gealtert sind. Vor allem aber kann sie zeigen, dass die Geschlechterrollen sowohl der menschlichen Figuren als auch der Dinosaurier für einen Action- und Horrorfilm aus dem Jahr 1993 überraschend progressiv gestaltet sind. Dagegen kehrt 2015 in Jurassic World, der versuchten Wiederbelebung des Dino-Franchises, ein höchst konventioneller männlicher Actionheld zurück, zähmt eine zunächst widerspenstige Frau und bringt die ausgebrochenen Dinosaurier zur Strecke. Durch Maxi Brauns sorgfältige vergleichende Analyse von Filmnarration und Filmästhetik werden die beiden Actionfilme zu einem ergiebigen Forschungsgegenstand für die Geschlechtergeschichte.

Josef Ehmer, Reinhild Kreis und die Redaktion


Wir trauern um Alf Lüdtke, der am Abend des 29. Januar 2019 in Göttingen verstorben ist.

Alf Lüdtke war nicht allein Mitgründer und Mitherausgeber dieser Zeitschrift. Als kreativer Ideengeber, unermüdlicher Organisator und kritischer Gesprächspartner hat er die WerkstattGeschichte von Beginn an entscheidend geprägt und bis zuletzt begleitet. Ohne ihn wäre unser gemeinsames Projekt schlechterdings undenkbar.

Die Nachricht von seinem Tod erreichte uns kurz nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe. Eine Würdigung erscheint im nächsten Heft.

Wir werden Alf Lüdtke sehr vermissen.

Redaktion und Herausgeber*innen der WerkstattGeschichte


[1] Diese Ambivalenz besteht seit der ersten einschlägigen Konferenz zu »Work and Leisure in Pre-Industrial Societies« in London 1964; vgl. den Bericht von Keith Thomas, Work and Leisure in Pre-Industrial Societies, in: Past & Present 29 (1964) 1, S. 50–66.

[2] Paradigmatisch dazu Catharina Lis/Hugo Soly, Worthy Efforts: Attitudes to Work and Workers in Pre-Industrial Europe, Leiden 2012.

[3] Vgl. Karin Hofmeester/Christine Moll-Murata (Hg.), The Joy and Pain of Work: Global Attitudes and Valuations, 1500–1650, Cambridge 2011.

[4] Aktuell dazu Alessandro Arcangeli, Work and Leisure, in: Bert De Munck/Thomas Max Safley, A Cultural History of Work in the Early Modern Age, London 2019, S. 159–173.

[5] Vgl. dazu Gábor Almási, The Renaissance Culture of Hard Work and Discipline: The Humanists, ungedrucktes Manuskript 2017. Wir danken Gábor Almási für die Erlaubnis, aus seinem noch unveröffentlichten Aufsatz zitieren zu dürfen.

[6] Viele Beispiele in Sheilagh Ogilvie, A Bitter Living: Women, Markets, and Social Capital in Early Modern Germany, Oxford 2003, z.B. S. 23; »In principle […] Sabbath regulations included everything contemporaries defined as work«, ebd., S. 29.

[7] Arcangeli, Work and Leisure, S. 170; vgl. auch Josef Ehmer, Attitudes to Work, Class Structures, and Social Change: A Review of Recent Historical Studies, in: International Review of Social History 59 (2014) 1, S. 99–117, hier S. 106–111.

[8] Als umfassenden Überblick zu aktuellen Forschungen und Debatten vgl. die Einleitung von Raffaela Sarti/Anna Bellavitis/Manuela Martini zu dem von ihnen herausgegebenen Band What is Work? Gender at the Crossroads of Home, Family, and Business from the Early Modern Era to the Present, Oxford/New York 2018, S. 1–84.

[9] Im Druck veröffentlicht in: Theodor W. Adorno, Freizeit, in: Gesammelte Schriften in 20 Bänden, Bd. 10: Kulturkritik und Gesellschaft II, Frankfurt a.M. 2003, S. 645–655, hier S. 647.

[10] Formulierungen dieser Art sind zu einem weit verbreiteten Topos zur Beschreibung gegenwärtiger Arbeitswelten geworden. Vgl. beispielsweise Martin Wehrle, Das süße Gift des Büros, in: Spiegel Online, 19.11.2013, abrufbar unter: http://www.spiegel.de/karriere/wie-firmen-die-grenze-zwischen-arbeit-und-freizeit-verwischen-a-934248.html (letzter Zugriff 12.12.2018); Gerrit Herlyn u.a. (Hg.), Arbeit und Nicht-Arbeit. Entgrenzungen und Begrenzungen von Lebensbereichen und Praxen, München u.a. 2009; Karin Gottschall/G. Günter Voß (Hg.), Entgrenzung von Arbeit und Leben. Zum Wandel der Beziehung von Erwerbstätigkeit und Privatsphäre im Alltag, 2. Aufl., München 2005.

[11] Pieke Biermann/Gisela Bock, Auch in Deutschland gibt es jetzt eine Kampagne um Lohn für Hausarbeit vom Staat für alle Frauen, in: Courage 2 (1977) 3, S. 1621; Silvia Federici/Arlen Austin (Hg.), Wages for Housework: The New York Committee 1972–1977: History, Theory, Documents, New York 2017.

[12] Vgl. Martin Schmeiser, »Wenn‘s in d‘Vespertasch geht…« Die Fabrik als Fundort von Brauchbarem und als Ort der Reparaturmöglichkeiten, in: Flick-Werk. Reparieren und umnutzen in der Alltagskultur. Begleitheft zur Ausstellung im Württembergischen Landesmuseum Stuttgart vom 15. Oktober bis 15. Dezember 1983, Stuttgart 1983, S. 105–112; Alf Lüdtke, Eigen-Sinn. Fabrikalltag, Arbeitererfahrungen und Politik vom Kaiserreich bis in den Faschismus, Hamburg 1993.

[13] G. Günter Voß, Was ist Arbeit? Zum Problem eines allgemeinen Arbeitsbegriffs, in: Fritz Böhle/G. Günter Voß/Günther Wachtler (Hg.), Handbuch Arbeitssoziologie, Bd. 1: Arbeit, Strukturen und Prozesse, Wiesbaden 2018, S. 1583; Sigrid Wadauer, Immer nur Arbeit? Überlegungen zur Historisierung von Arbeit und Lebensunterhalten, in: Jörn Leonhard/Willibald Steinmetz (Hg.), Semantiken von Arbeit. Diachrone und vergleichende Perspektiven, Köln u.a. 2016, S. 225246; Nicole Colin/Franziska Schößler, Das nennen Sie Arbeit? Der Produktivitätsdiskurs und seine Ausschlüsse, in: dies. (Hg.), Das nennen Sie Arbeit? Der Produktivitätsdiskurs und seine Ausschlüsse, Heidelberg 2013, S. 728; Karl Spracklen/Brett Lashua/Erin Sharpe/Spencer Swain (Hg.), The Palgrave Handbook of Leisure Theory, London 2017.

[14] Jörn Leonhard/Willibald Steinmetz, Von der Begriffsgeschichte zur historischen Semantik von ‚Arbeit‘, in: dies. (Hg.), Semantiken von Arbeit, S. 959, hier S. 10, auch S. 52f.

[15] Vgl. etwa Dieter Kramer, Freizeit und die Reproduktion der Arbeitskraft, Köln 1975.