Nr. 54 | werkzeug | Abstract

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Eva Bischoff

[ DEUTSCH | ENGLISH | Kurz-Bio]

»Kannibalismus, wie man ihn sich scheußlicher und tierischer nicht vorstellen kann«. Verflechtungen zwischen Kolonie und Metropole

Der Topos von der Menschenfresserei der Indigenen bildet seit Beginn des Entdeckungszeitalters einen festen Bestandteil des europäischen Kolonialdiskurses. In scharfem Kontrast dazu wurde kurz nach Ende der offiziellen Kolonialherrschaft des Kaiserreiches eine Reihe von weißen Sexualstraftätern mit kannibalischen Praktiken identifiziert. Der vorliegende Beitrag rekonstruiert die entangled history des ethnologischen und kriminologischen Wissens vom Kannibalen sowie dessen Effekte in exemplarisch ausgewählten Strafverfahren gegen weiße und indigene Anthropophagen. Auf Grundlage dieser exemplarischen Analysen demonstriert er, dass kannibalische Wilde und Mörder, Kolonie und Heimat als Teile eines miteinander verflochtenen, bio-politischen Problemfeldes wahrgenommen wurden. Die Studie schließt damit an die derzeit kontrovers geführte Debatte um die Bedeutung des deutschen Kolonialprojekts für die Geschichte des Mutterlandes an und plädiert für eine Ausweitung der Perspektive: weg von der Konzentration auf die Frage nach den Auswirkungen des Kolonialismus auf die Gesellschaft des Mutterlandes in Sinne einer linearen Kausalität hin zu der Analyse der Entstehung der Moderne innerhalb eines komplexen Verflechtungszusammenhanges zwischen Kolonie und Metropole.

[ ENGLISCH | DEUTSCH]

“Cannibalism of the most hideous and bestial kind imaginable”. Entanglements between colony and metropole

The Man-Eating Myth (Arens) was an integral part of colonial discourse since the beginning of the Age of Discovery. In sharp contrast to this tradition, a number of white sexual killers were identified with cannibalism during the years Weimar Republic, right after the termination of the German colonial project by the Treaty of Versailles in 1919. The article reconstructs the entangled history (Conrad/Randeria) of the anthropological and criminological knowledges of the cannibal and their effects on criminal procedures against white as well as indigenous cannibals. It demonstrates that, native cannibals and sexual murderers, homeland and colony were perceived as parts of one intimately intertwined and entangled bio-political field. Thus, the study contributes to the ongoing scholarly debate about the influence of German colonialism on the society of the motherland. It argues for a broadening of the current debate which concentrates on the reconstruction of continuities from the colonial to the postcolonial period and stresses the necessity of analysing historical phenomenon, such as the discourse on cannibalism, within the complex network of entangled discourses and practices that constituted the modern world.

Kurz-Bio: Eva Bischoff

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Abteilung Geschichte des John-F.-Kennedy-Instituts für Nordamerikastudien sowie Postdoktorandin am SFB 700, wo sie zur Geschichte des Kontakts zwischen weißen Siedlern und indigenen Gesellschaften in den Vereinigten Staaten und Australien zwischen 1788 und 1851 forscht.
E-Mail: eva.bischoff at fu-berlin.de

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