Mèhèza Kalibani
Koloniales Leiden in Lied und Wort
Das Berliner Phonogramm-Archiv und das Lautarchiv der Humboldt Universität zu Berlin beherbergen frühe Tonaufnahmen, die u.a. in Deutschland in Kriegsgefangenenlagern und in deutschen Kolonien zwischen 1899 und 1954 entstanden sind. Durch die Aufnahmen wollte man angeblich musikalische Traditionen der Welt für die Zukunft bewahren. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass sich viele Aufnahmen auch in der kolonialen Wissensproduktion verorten lassen. Ein erheblicher Teil davon entstand zudem unter ungleichen Machtverhältnissen, wobei die aufgenommenen Menschen manchmal gegen ihren Willen singen, sprechen oder musizieren mussten. In manchen Aufnahmen äußerten sie Kritik an der aufnehmenden »Autorität« oder beschrieben leidvolle Erfahrungen, die sie in diesem Rahmen machten. Auf Grundlage ausgewählter Aufnahmen und der Sekundärliteratur kontextualisiert dieser Beitrag die Erfahrungen der aufgenommenen Personen, vor allem in Aufnahmen aus deutschen Kolonien, als koloniales »Leiden«.
Colonial Suffering in Song and Word
The Berlin Phonogramm-Archiv and the Lautarchiv of the Humboldt University of Berlin house early sound recordings made, among other places, in German prisoner-of-war camps and in German colonies between 1899 and 1954. These recordings were intended to preserve musical traditions of different world cultures for the future. Upon closer examination, it becomes clear that many recordings were also made in the logic of colonial knowledge production. A significant part was also recorded in situations shaped by colonial power relations, with people sometimes being forced to sing, speak or play musical instruments against their will. In some recordings, they expressed criticism of the recording »authority« or described painful experiences they had made within this framework. Based on selected recordings and secondary literature, this paper contextualizes the experiences of the recorded people, especially in recordings from German colonies, as instances of colonial »suffering«.
Kurz-Bio: Mèhèza Kalibani
Mèhèza Kalibani ist Kurator für koloniale Vergangenheit und postkoloniale Gegenwart bei der Stiftung Historische Museen Hamburg sowie Doktorand am Institut für Geschichtsdidaktik und Public History der Universität Tübingen. In seinem Dissertationsprojekt kontextualisiert er phonographische Aufnahmen von deutschen Kolonialbeamten im Berliner Phonogramm-Archiv als Bestandteile der deutschen Kolonialgeschichte. Dabei untersucht er die Erwerbungssituationen und die kolonialen Macht-/Wissen-Verhältnisse, unter welchen diese Schallaufzeichnungen entstanden sind und hinterfragt außerdem deren Authentizität und Gebrauchskontexte heute wie damals.
E-Mail: meheza.kalibani@stab.shmh.de