Nr. 84 | monogamie | Abstract

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Andrea Althaus, Mirjam Janett, Jürg Streuli, Rita Gobet und Flurin Condrau

[ DEUTSCH | ENGLISH | Kurz-Bio]

»Schnitt im Kopf«. Zur Rolle der Kommunikation in der Behandlung »intersexueller« Kinder am Kinderspital Zürich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Das Kinderspital Zürich (Kispi) entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem international renommierten Forschungs- und Behandlungszentrum für »Intersexualität«. Kinder mit einer biologischen Geschlechtsvariante wurden dort mittels Operationen und/oder Hormontherapien körpergeschlechtlich vereindeutigt. Wir gehen der Frage nach, wie die ärztliche und familiäre Kommunikation das Erfahren und Erzählen der Behandlungen prägte. Quellenbasis sind neun Oral-History-Interviews mit Personen, die aufgrund einer Geschlechtsvariante am Kispi behandelt wurden. Wir zeigen auf, dass die Kommunikation im Zusammenhang mit den »Intersex«-Behandlungen semi-tabuisierend und direktiv war. Die Kommunikationsweisen erörtern wir in ihren gesellschaftlichen und medizinhistorischen Bedingungen (soziale Tabuisierung von Klitoris und Zwischengeschlechtlichkeit, paternalistisches Verhältnis zwischen Ärzt*innen und Patient*innen, Verschweigen von »Intersex«-Diagnosen als Lehrmeinung), untersuchen ihre biografischen Auswirkungen (Unwissen über den eigenen Körper, Schamgefühle) und gehen auf individuelle Verarbeitungsstrategien ein (Tabu brechen, Aneignung von Wissen).

[ ENGLISCH | DEUTSCH]

»The amputation of my clit was a cut in my head.« Communication and Intersex Management at the Zurich Children’s Hospital after 1945

In the second half of the twentieth century, the Zurich Children’s Hospital (Kispi) developed into an internationally renowned treatment center for »intersexuality.« Children with ambiguous body-sexual characteristics were given there a clearly male or female identification by means of surgical interventions and/or hormone therapies. This study examines the question of how medical and family communication shaped the (narrated) experience of »intersex« treatments. Our analysis is based on nine oral history interviews with former Kispi patients. We show that communication in connection with the treatments was semi-tabooing and directive. We discuss the mode of communication in its social and medical-historical conditions (tabooing of the clitoris and »intersex,« paternalistic relationship between doctors and patients, concealment of »intersex« diagnoses as a doctrine), examine its biographical effects (ignorance of one’s own body, feelings of shame, stigmatization) and address individual processing strategies (breaking taboos, acquisition of knowledge).

Kurz-Bio: Andrea Althaus, Mirjam Janett, Jürg Streuli, Rita Gobet und Flurin Condrau

Andrea Althaus ist promovierte Historikerin und seit Herbst 2020 in der »Werkstatt der Erinnerung« an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg tätig. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Oral History, Migrations-, Geschlechter- und Medizingeschichte im 20. Jahrhundert. Der Aufsatz entstand während ihrer Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Biomedizinische Ethik und Medizingeschichte der Universität Zürich.
E-Mail: althaus@zeitgeschichte-hamburg.de

Mirjam Janett ist promovierte Historikerin und als wissenschaftliche Assistentin am Institut für Biomedizinische Ethik und Medizingeschichte der Universität Zürich tätig. Zurzeit arbeitet sie an einem Sammelband zur Geschichte der Kinderpsychiatrie in der Schweiz (mit Urs Germann und Urs Hafner). Ihre jüngste Publikation Aus erster Hand. Gehörlose, Gebärdensprache und Gehörlosenpädagogik in der Schweiz im 19. und 20. Jahrhundert (mit Rebecca Hesse, Alan Canonica, Martin Lengwiler und Florian Rudin) ist soeben im Chronos-Verlag erschienen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Medizin- und Geschlechtergeschichte, Geschichte der Kindheit und Familie sowie Disability History.
E-Mail: mirjam.janett@uzh.ch

Jürg Streuli (Dr. med., Dr. sc. med.) ist Forschungsgruppenleiter für pädiatrische Bioethik am Institut für Biomedizinische Ethik der Universität Zürich. Er arbeitet und forscht als Kinderarzt und Medizinethiker seit über zehn Jahren auf dem Gebiet der Intersexualität bzw. der Variationen der biologischen Geschlechtsentwicklung an der Universität Zürich und dem Universitäts-Kinderspital Zürich.
E-Mail: streuli@ethik.uzh.ch

Rita Gobet (Prof. Dr. med.) ist Kinderurologin FEAPU; von 2004 bis 2020 arbeitete sie als Leiterin der kinderurologischen Abteilung und ist langjähriges Mitglied der interprofessionellen DSD Arbeitsgruppe der Universitäts-Kinderkliniken Zürich.
E-Mail: Rita.Gobet@kispi.uzh.ch

Flurin Condrau ist seit 2011 Professor für Medizingeschichte an der Universität Zürich. Er ist Mitherausgeber der Fachzeitschrift Social History of Medicine. Condraus Forschungsschwerpunkte umfassen die Geschichte von Infektionskrankheiten sowie die Geschichte der klinischen Medizin im 20. Jahrhundert. Darin interessiert er sich besonders auch für die Geschichte der Patient*innen.
E-Mail: flurin.condrau@uzh.ch

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