Nr. 78 | krank machen | Abstract

Zurück zum Inhalt

Yvonne Robel

[ DEUTSCH | ENGLISH | Kurz-Bio]

Pathologisch faul? Das Nichtstun der „Massen“ von 1890 bis in die 1930er Jahre

Als „gesunde Gesellschaft“ galt insbesondere in der europäischen Moderne immer auch eine arbeitsame. Aber nahm man in pädagogischen, juristischen, psychiatrischen und sozialpolitischen Kreisen „Müßiggang“, „Faulheit“ oder „Arbeitsscheu“ dabei zugleich als Krankheit wahr? Der Beitrag geht dieser Frage für das Deutsche Kaiserreich und die Weimarer Republik nach. Zunächst wird skizziert, in welchen Kontexten Phänomene des Nichtstuns überhaupt zur Sprache kamen und wer über sie sprach. Darauf aufbauend wird gezeigt, wie Faulheit, Müßiggang oder Arbeitsscheu als Krankheit verhandelt wurden und wer einer solchen Sicht explizit widersprach. Deutlich wird hierbei, dass mit den einzelnen Positionen auch unterschiedliche Ideen über die Heilbarkeit oder praktische Behandlung von Faulheit oder Müßiggang verbunden waren. Ideen der Pathologisierung und Praktiken der Disziplinierung (etwa Arbeitszwang) gingen nicht zwangsläufig Hand in Hand. Entsprechend ist kritisch zu diskutieren, welche Rolle die seit Ende des 19. Jahrhunderts zu beobachtenden Pathologisierungen von Faulheit für die zunehmend radikalisierte Verfolgung sogenannter Arbeitsscheuer im Nationalsozialismus einnahmen.

[ ENGLISCH | DEUTSCH]

Laziness – a Pathological Problem? Doing Nothing of the “Masses” from 1890 to the 1930s

The praise of a hard-working mankind became a central idea in modern Europe. But did educationalists, lawyers, psychiatrists and social experts understand laziness, idleness and so-called work-shy people also as pathological problems?
The paper discusses this question by focusing on German discourses from the end of the 19th century to the 1930ies. Who discussed laziness or idleness during this time and what contexts help to explain the growing interest in practices of doing nothing? The paper shows that some of the involved actors doubted the mental or moral health of slackers, others strictly denied any connection between laziness or idleness and questions of health, disease or the body. These different positions were accompanied by changing ideas of recovering or methods of treatment. Furthermore, making laziness or idleness a pathological problem didn’t automatically mean to plea even harder for disciplinary practices like compulsory labor. Accordingly, the paper argues, speaking about laziness and idleness since the end of the 19th century was not as consistent as one would expect and pathological questions did not lead directly to National Socialists’ radical politics against so-called work-shy people.

Kurz-Bio: Yvonne Robel

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen jüngere Kulturgeschichte, Geschichte der Nicht-Arbeit, vergleichende Erinnerungsforschung, Disziplinierungs-, Verfolgungs- und Strafpraktiken, Antiziganismus. Derzeit arbeitet sie an einem Habilitationsprojekt zur öffentlichen Wahrnehmung von Nicht-Arbeit, Faulheit und Müßiggang im 20. Jahrhundert.

E-Mail: robel@zeitgeschichte-hamburg.de

Zurück zum Inhalt