Axel Dossmann
Nackt unter Wölfen, eine Neuverfilmung. Über die Grenzen emotionaler Erkenntnis und historischer Gerechtigkeit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen
Filmproduzent Nico Hofmann nahm die kritische Edition des weltweit verbreiteten Romans Nackt unter Wölfen (1958) von Bruno Apitz zum Anlass für eine Neuverfilmung in der ARD. Die abenteuerliche Story von der Rettung eines jüdischen Kindes durch kommunistische Widerstandskämpfer im KZ Buchenwald hatte die DEFA 1963 als Ikone des sozialistischen Realismus gestaltet: Buchenwald steht in Frank Beyers Film für einen Sieg der kommunistischen Internationale über den deutschen Faschismus. Die ARD setzt nun väterliche Liebe und brutalen SS-Terror bewusst anders in Szene und lässt vor allem den moralischen Preis erkennen, den das Handeln von Funktionshäftlingen in den „Grauzonen“ der KZ-Welt forderte. Mit Nackt unter Wölfen (2015) will das Filmteam ein junges Publikum weltweit erschüttern und fürs „Erinnern“ öffnen. „Nach Motiven des Romans“ entwickelt, beansprucht der Film mit vielen historischen Details und Versatzstücken dokumentarische Geltung. Doch das Versprechen von Authentizität und historischer Aufklärung ist mit diesem mythischen Romanstoff und historisch korrekter Kostümierung nur sehr begrenzt einlösbar. Der Film riskiert neue historische Ungerechtigkeiten und fabriziert rührende Geschichtsbilder von deutschen Väter-Märtyrern, die im KZ jüdische Gefangene retten. Als ein Beispiel für anhaltende Trends im deutschen Geschichtsfernsehen rekonstruiert der Aufsatz die geschichtskulturellen Zusammenhänge dieser Filmproduktion, die die Gründe für Widerstand und Mitmenschlichkeit weitgehend entpolitisiert und privatisiert.
The Remake Naked Among Wolves (2015): On the Limits of Emotional Realization and Historical Justice in Germany’s Public Television
On the Limits of Emotional Realization and Historical Justice in Germany’s Public Television Nico Hofmann has taken the opportunity provided by a new critical edition of the GDR’s worldwide bestselling novel Naked Among Wolves (1958) by Bruno Apitz to produce another filmic adaptation for Germany’s first public television channel ARD. In their filmic adaptation of 1963, East Germany’s DEFA had turned the adventurous story of how a Jewish child in Buchenwald concentration camp was saved by members of the camp’s Communist underground into an icon of Socialist realism. In that film, Buchenwald symbolizes the victory of the Communist International over Fascism. ARD’s remake draws a very different picture of the prisoners’ fatherly love for the child and the brutal terror meted out by the SS, and it particularly stresses the moral price that prisoner functionaries had to pay for maneuvering in the »gray zones« of a concentration camp. With its many historical details and accurate costumes the remake claims to be »authentic«; however, the novel’s mythical story gets in the way of an enlightening presentation of a historical subject. ARD’s remake commits new historical injustices and fabricates sentimental images of German father-martyrs saving Jewish concentration camp inmates. The review analyses the remake as an example of the current tendency in Germany’s Geschichtskultur to depoliticize and privatize the reasons for resistance and humanity.
Kurz-Bio: Axel Dossmann
ist Historiker und Akademischer Rat (auf Zeit) am Lehrstuhl für Geschichte in Medien und Öffentlichkeit an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Forschungsschwerpunkte: Mediengeschichte von Gesellschaftsverbrechen, Gestaltung von Geschichte im Hörfunk, Film und Museum sowie Zeugenschaft und Erfahrungsgeschichte in Wissenschaft, Bildung und Kunst.
E-Mail: axel.dossmann@uni-jena.de