Nr. 58 | wissen und wirtschaften | Abstract

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Bernd Weisbrod

[ DEUTSCH | ENGLISH | Kurz-Bio]

Die Dynamik der Gewalt und der Holocaust
»vor Ort«

Auschwitz als zentrale Ikone des Holocaust überdeckt die Vielfalt des mörderischen Geschehens, dessen improvisierter und situativer Charakter insbesondere in den Massentötungen „vor Ort“ im Osten zum Ausdruck kommt. Anders als bei den westeuropäischen Juden, bei denen die Deportation das Geheimnis des Todes im Gas verbergen sollte, anders auch als bei den Juden des Generalgouvernements, bei denen das Ghetto als Vorstufe der Vernichtungslager fungierte, zeigte der Holocaust insbesondere in den zuerst von der Sowjetunion, dann vom Deutschen Reich besetzten Gebieten östlich der Ribbentrop-Molotow Linie sein „offenes Gesicht“. Bei diesen seriellen Massakern „vor Ort“ spielte, wie schon in Serbien, die militärische Logik eine besondere Rolle. Sie wären allerdings ohne die spontane oder erzwungene Kollaboration, wie am Beispiel der Ukraine gezeigt wird, nicht möglich gewesen. Im Gesamtbild des Holocaust verdienen daher die „Gewalträume“ des Russland-Feldzugs eine größere Aufmerksamkeit, weil dort das routinemäßige Töten in seiner archaischen Form den Genozid erst ermöglichte und vollendete.

[ ENGLISCH | DEUTSCH]

Dynamics of Violence. »Face-to-Face« Killings in the Holocaust

The iconic presence of Auschwitz obscures the improvised and situational character of the Holocaust, which was particularly in evidence in “face-to-face” mass killings in the East. For West European Jews the deportation was meant to camouflage the terrible secret of their eventual death in the gas chambers, the Jews in Poland may have experienced the Ghetto as a stopgap before extermination, but in the territories first under Soviet, then under German occupation east of the line drawn by the Molotov-Ribbentrop-Pact the Holocaust showed its “open face”. In these serial “face-to-face” massacres, like early-on in Serbia, military contingencies played an important role. But they would have been impossible without the spontaneous and enforced collaboration on the ground, as shown here in the case of Ukraine. More attention should, therefore, be given to these “death zones” of the Russian campaign in our overall picture of the Holocaust, since it was there that routine killing in its archaic form eventually enabled and completed the genocide.

Kurz-Bio: Bernd Weisbrod

Bis März 2011 Professor für Mittlere und Neuere Geschichte an der Georg-August-Universität Göttingen und Sprecher des DFG-Graduiertenkollegs »Generationengeschichte«. Im spring term 2012 als Gerda Henkel Visiting Professor an der Stanford University.
E-Mail: bweisbr@gwdg.de

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