Nr. 57 | soziale missionen | Abstract

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Julia Hauser

[ DEUTSCH | ENGLISH | Kurz-Bio]

Waisen gewinnen. Mission zwischen Programmatik und Praxis in der Erziehungsanstalt der Kaiserswerther Diakonissen in Beirut seit 1860

Ausgehend vom bürgerlichen Familienmodell als Messlatte kulturellen Fortschritts hatten Innere und Äußere Mission die Wiederherstellung familiärer Strukturen zum Kernaspekt ihrer Tätigkeit erklärt. Gerade das Familienleben im Orient erschien westlichen Reisenden in besonderem Maße als Antithese des europäischen. Als die Kaiserswerther Diakonie ins Osmanische Reich expandierte, basierte, der Programmatik der Rettungshausbewegung folgend, auch die von Theodor Fliedner formulierte Agenda für die erzieherische Tätigkeit der Diakonissen auf ähnlichen Annahmen. Wiederherstellung jedoch schien, so die auf Argumentationen der Rettungshausbewegung basierende Ironie, nur durch soziale Dekontextualisierung der Kinder möglich. Doch bei der Umsetzung dieses Programms stießen die Diakonissen auf manifeste Probleme. Angesichts des Widerstandes der Familien mussten sie mehr Kontakt zwischen Kindern und Verwandten zulassen, angesichts weiterhin bestehender kultureller Praktiken v.a. im Bereich der Ehe ihre Erwartungen revidieren. Den Unterstützerkreisen daheim jedoch wurde dieser Wandel schon aus strategischen Überlegungen kaum vermittelt. So trug die Tätigkeit der Diakonissen nur wenig zur Wandlung des Bildes der orientalischen Familie im protestantischen Deutschland bei.

[ ENGLISCH | DEUTSCH]

Gaining Orphans, or: Mission between Agenda and Agency. The Kaiserswerth Orphanage in Beirut since 1860

Based on a middle-class notion of family life as a yardstick of progress, the restoration of familial structures took center stage in both home and foreign mission in the nineteenth century. Family life in the »Orient« in particular appeared to western travelers as antithetical to the one practised in Europe. When the Kaiserswerth deaconessate expanded to the Ottoman Empire, the activities of the deaconesses were framed by similar views. Ironically, as had first been argued by the protagonists of the Rettungshaus movement, restoration only seemed possible on condition that exisiting family ties were severed. Yet the implementation of this agenda confronted the deaconesses with manifest problems. Families’ opposition forced them to permit contact between children and their kin to a greater extent, while the persistence of cultural practices like marriage patterns forced them to revise their expectations. Supporters back home, however, were only sporadically informed of such adjustments. As a consequence, the deaconesses’ activities contributed but little to a transformation of the image of the »Oriental family« in Protestant Prussia and Germany.

Kurz-Bio: Julia Hauser

Historikerin, ist Stipendiatin der Gerda-Henkel-Stiftung. Sie promoviert zur Erziehungsarbeit Kaiserswerther Diakonissen in Beirut, 1860–1919.
E-Mail: jck.hauser@web.de

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