Andreas Bähr
»Unaussprechliche Furcht« und Theodizee. Geschichtsbewusstsein im Dreißigjährigen Krieg
Der Artikel befragt autobiographische Beschreibungen von Furcht und Angst aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges nach den Konzepten von Zeit und Geschichte, die sie implizieren. Er zeigt, dass in ihnen das exemplarische und providentielle Geschichtsbild der Frühen Neuzeit nicht gestört, sondern vielmehr konstituiert wird. Die Beschreibungen bis dato ungekannter, »unaussprechlicher« Furcht vor kriegerischer Gewalt stellten die Existenz eines gerechten Gottes nicht in Frage, sondern setzten sie voraus. Sie erinnern die eigene Furcht als gegenwärtig aufgehoben: als überwunden in der Furcht vor Gott und im Vertrauen auf die Ordnung seiner Geschichte. Der Aufsatz bestimmt das Verhältnis von Furcht und Geschichtsbewusstsein nicht als ein mentales, sondern als ein semantisches; er fragt nicht nach krisenhafter Erschütterung und Krisenbewältigung, sondern arbeitet die Funktion von Furcht und Angst innerhalb des autobiographischen Textes heraus: ihre Bedeutung für die Konstituierung der eigenen Lebensgeschichte. Die »Unbeschreiblichkeit« der beschriebenen Furcht verweist nicht auf ein Gefühl, das sich seiner sprachlichen Repräsentation entzieht, sondern auf die räumliche Begrenztheit jedes menschlichen Textes; sie begründet nicht die Unmöglichkeit der Beschreibung, sondern ihre Notwendigkeit.
»Unspeakable Fear« and Theodicy: Conceptions of History in the Thirty Years’ War
The article examines autobiographical texts, which describe »unspeakable« and »indescribable« fear and anxiety during the Thirty Years’ War, and the conceptions of time and history on which they were based. These texts do not signify a »crisis« of providential and exemplary history; the latter is rather constituted in them. This can be demonstrated by analysing the functions of »fear« and »anxiety« within the autobiographical depiction. Authors used to remember their own fear as being absent: as belonging to the past, as being defeated and overcome. Thus, when describing their fear and anxiety, they did not question God’s justice but proved themselves to be »God-fearing« and trusting in his order of history.
Kurz-Bio: Andreas Bähr
Andreas Bähr, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, arbeitet gegenwärtig an einem Habilitationsprojekt zu „Furcht und Furchtlosigkeit. Gewalt, Imagination und göttliche Macht im 17. Jahrhundert“.
E-Mail: abaehr@zedat.fu-berlin.de