Editorial: Nr. 51 | grenzgänge

„Bastarde“ – der Begriff soll in diesem Themenheft nicht in seiner geläufigen pejorativen Bedeutung verstanden werden, sondern als Chiffre für Illegitimität und Hybridität. Zedlers Universallexikon von 1732 führt zunächst negative Konnotationen des Begriffs an: Ein Bastard sei das Kind einer Jungfer oder Witwe, dessen Vater ungewiss sei; Bastarde seien aber auch Mischlinge zwischen zwei Arten, von denen die eine der anderen aufgepfropft sei und parasitär wachse. Danach aber verweist das Universallexikon darauf, dass „Bastard“ nicht überall die gleiche Bedeutung habe und nicht in jedem Falle eine Abwertung darstelle, sondern im Gegenteil auch als Ehren- oder Adelstitel gebraucht werde und so z.B. die „unächten Kinder“ des Herzogtums Burgund in ihrem Titel die Worte Burgundiae Bastardus trügen. Die Encyclopédie von Diderot und d’Alembert von 1751 bezeichnet als „Bastard“ die anerkannten unehelichen Söhne von Adligen und, in einem allgemeinen Sinne, alle unehelich Geborenen. Der Begriff wird in neutralem Sinn als rechtshistorischer Terminus definiert, erst am Schluss des Artikels wird beiläufig auf seine Anwendungen im Tier- und Pflanzenreich verwiesen. Der Begriff ist also uneindeutig und ambivalent.
In diesem Heft sollen narrative und kulturelle Konstruktionsmuster von Bastarden und Bastardizität vorgestellt werden. Bastardkonzepte haben nicht nur die spezifischen Handlungsmöglichkeiten historischer Akteure und Akteurinnen präfiguriert, sie geben auch Aufschluss über Konzepte von Legitimität und Illegitimität, von Grenzziehung und Grenzüberschreitung. Zentral ist hier das Argument, dass nicht nur literarischen, sondern auch historischen Unehelichen Eigenschaften zugeschrieben werden, die phantasmagorische Qualitäten haben. Verblüffend ist auch die widersprüchliche Behandlung der Bastarde im vormodernen Recht. Während Bastarden lange Zeit jegliche Verwandtschaft mit der väterlichen Familie juristisch abgesprochen wurde, galten uneheliche Kinder als natürlich und offensichtlich mit der Mutter und ihrer Familie verwandt. Wenn Bastarde und Bastardinnen einerseits als juristische Kontrastfolie für eheliche Kinder und deren Rechte herhalten müssen, gerät dies andererseits in Widerspruch zur Vorstellung einer natürlichen Blutsverwandtschaft und Vererbung, die je nach Epoche unterschiedlich explizit ausformuliert wird. Gerade das frühneuzeitliche Recht hielt spezifische Integrationsinstrumente für Uneheliche bereit, die von der weltlichen Legitimation über den kirchlichen Dispens bis hin zur vollständigen Aufnahme auch in die väterliche Familie reichen, und zwar nicht nur im Adel. Die Geschichte der Bastarde ist also kaum von der Geschichte solcher Zuschreibungen und Pragmatismen zu trennen, die sich auch in der Fremd- und Selbstwahrnehmung historischer Akteurinnen und Akteure wiederfinden. Weder Sozialgeschichte noch Demografie, die Unehelichkeit vor allem als Indikator für die voreheliche Sexualität behandelt haben, sind jedoch der Bastarde Herr geworden. Vielmehr hat die Forschung mehrfach darauf hingewiesen, dass letztlich die jeweilige historische moralische oder kulturelle Wertigkeit des Phänomens ausschlaggebend sei, über die man jedoch bislang nur wenig wisse.
Weil Bastarde die Überschreitung der ehelichen Ordnung und Sexualität verkörpern, werden sie zwangsläufig zu Sinnbildern von Unordnung und Unreinheit, und weil man sich vor diesem gesellschaftlichen „Anderen“ nicht nur fürchtet, sondern es auch begehrt, hat es verzerrte Züge, in quantitativer ebenso wie in qualitativer Hinsicht. Als institutionalisierte Außenseiter, die gesellschaftliche Ordnungsprinzipien zurückspiegeln, funktionieren Bastarde ähnlich wie Narren bzw. Geisteskranke. Sie als „Randgruppen“ zu beschreiben, wie dies in der Sozialgeschichte bisweilen geschehen ist, greift jedoch zu kurz, denn Bastarde haben einen Fuß in und einen außerhalb der bestehenden Gesellschaftsordnung, und ihr Lebensweg kann sich in verschiedenste Richtungen entwickeln. Eine eindeutig pejorative, ja rassistische Aufladung des Begriffs erfolgt erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, und noch Ferdinand Tönnies widmet 1930 den „Unehelichen oder verwaisten Verbrechern“ eine kriminalistische Abhandlung. Aber auch rassistische und biologistische Konzepte werden mit den Bastarden nicht wirklich fertig, denn auch ihnen ist unklar, in welche Richtung sich die einzelnen „Mischlingsanteile“ entwickeln werden und welche ausschlaggebend sind – Bastarde bilden damit eine Schnittstelle zwischen kulturalistischen und biologistischen Diskursen und sind besonders geeignet, deren Strukturen offenzulegen.
Aus diesem weitgespannten Forschungsfeld stellt das vorliegende Themenheft drei Querschnitte vor. Simona Slanička zeigt, dass Bastarden im Mittelalter und in der Renaissance eine besondere Befähigung zur Kreuzfahrt und zum Kontakt mit dem außereuropäischen Fremden zugeschrieben wurde. Anhand des mittelalterlichen Alexanderromans, des Großen Bastards Anton von Burgund und Juan de Austrias werden drei Kreuzfahrerbastarde und deren Analogien diskutiert.
Karin Gottschalk untersucht den rechtsgeschichtlichen Wandel von Unehelichkeit in Bezug auf Verwandtschaft von der Antike bis zum 20. Jahrhundert. Ihre Fokussierung auf die Bastarde lässt den Konstruktivismus der rechtlichen Verwandtschaftsdefinitionen besonders deutlich hervortreten, wenn etwa Adoption und Unehelichkeit als Abgrenzung für legitime Verwandtschaft dienen oder aber um 1800 die Reichweite der natürlichen Blutsverwandtschaft umdefiniert wird.
Regina Mühlhäuser befasst sich mit der Sorge der NS-Autoritäten um die Wehrmachtsbastarde in der besetzten Sowjetunion, wo sich sowohl die Ambivalenzen als auch die Fantasien früherer Bastarddiskurse wiederfinden. Einerseits wurde befürchtet, dass die Bastarde den feindlichen Genpool aufwerten und sich als geborene Anführer gegen Deutschland wenden könnten, andererseits wurde überlegt, sie als neue Siedler für die besetzten Grenzgebiete und als mit dem Umland bestens vertraute Grenztruppen an der Ostfront einzusetzen.
In der Rubrik Werkstatt berichtet Eckart Schörle über die Einrichtung einer antisemitischen Nachrichtenagentur: den „Welt-Dienst“, gegründet 1933 von Ulrich Fleischhauer. Dieser versuchte mit seiner Organisation die internationale Vernetzung der Antisemiten zu fördern und wurde u.a. durch seine Rolle beim Berner Prozess um die „Protokolle der Weisen von Zion“ bekannt.
Monica Rüthers untersucht anhand verschiedener Bildbände zur sowjetischen Architektur visuelle Repräsentationen von Stadt und Land und deren Verbindung mit Modernisierungsprozessen in den fünfziger und sechziger Jahren. Die in den bildlichen Darstellungen konstruierten Differenzen und Hierarchien diskutiert sie als Teil einer visuellen „Verlandschaftung“ der sowjetischen Kultur und Gesellschaft.
Zum Schluss noch eine Ankündigung in eigener Sache: Alle alten Artikel von WERKSTATTGESCHICHTE bis einschließlich 2007 stehen ab sofort über die Homepage der Zeitschrift (Archiv) kostenlos zur Verfügung. Wir danken dem Klartext Verlag für die Erstellung unserer Online-Archivdatenbank!

Simona Slanička und die Redaktion