Nr. 69 | anti/koloniale filme | Abstract

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Kai Nowak

[ DEUTSCH | ENGLISH | Kurz-Bio]

Der Schock der Authentizität. Der Filmskandal um Africa Addio (1966) und antikolonialer Protest in der Bundesrepublik

Der italienische Film Africa Addio, der sich – aus kolonialer Perspektive – mit dem Prozess der Dekolonisation auseinandersetzte, löste 1966 einen Filmskandal in der Bundesrepublik aus, der von der sich formierenden Studentenbewegung radikalisiert wurde. Der Beitrag ordnet Africa Addio filmhistorisch ein, unterzieht ihn einer formal-inhaltlichen Analyse vor dem Hintergrund des (anti-)kolonialen Diskurses in der Bundesrepublik und untersucht seine Rezeptionsgeschichte. Dabei zeigt sich, wie der Fall durch die schockauslösende Qualität filmischer Authentizität prominent und vernehmbar eine Stellvertreterdebatte über das Verhältnis Deutschlands und Europas zum postkolonialen Afrika anstieß. Als West-Berliner Studierende im Kino gewaltsam gegen Africa Addio vorgingen, wurde der ursprüngliche Skandalanlass bald vollständig überlagert von Empörung über die Aktionsformen der Protestierer. Die Studierenden wiederum transponierten den Fall in einen Skandal um den bundesdeutschen Umgang mit der NS-Vergangenheit. Den Protagonisten des Skandals lagen, so wird deutlich, ihre eigene Gesellschaft, ihre politische Kultur und die Behauptung bzw. Erlangung von Deutungshoheit letztlich näher als die Sache des fernen Afrika.

[ ENGLISCH | DEUTSCH]

Shock of Authenticity. The Scandal over the Film Africa Addio (1966) and Anti-colonial Protest in the Federal Republic of Germany

In 1966 the Italian film Africa Addio, which deals with decolonisation from a colonial point of view, provoked a scandal in the Federal Republic of Germany, which was soon to be radicalised by the emerging student movement. This article examines the film historical context of Africa Addio, analyses its content as well as formal aspects in the light of (anti-)colonial discourse in Western Germany and in particular addresses its specific reception. The scandal shows how the audience shocking qualities of filmic authenticity triggered a debate on the relationship of Germany and Europe to post-colonial Africa. But when students violently protested against Africa Addio in a West Berlin cinema, the initial cause of scandal was superseded by indignation about the forms of action. In turn, the students transformed the case in a scandal over Western Germany’s deficits in coming to terms with its National Socialist past. The Africa Addio example illustrates that for the scandal’s protagonists, for politicians, journalists and protesters alike, their own society and political culture as well as the enforcement of their respective interpretation in public opinion were of far more interest than the causes of distant Africa.

Kurz-Bio: Kai Nowak

Studium der Geschichte, Publizistik und Politikwissenschaft an der Universität Münster, an der Humboldt-Universität zu Berlin und der Freien Universität Berlin. Von 2006 bis 2010 Stipendiat am DFG-Graduiertenkolleg „Transnationale Medienereignisse von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart“ an der Justus-Liebig-Universität Gießen, von 2011 bis März 2014 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Zeitgeschichte in Gießen. Im März 2014 Promotion mit einer Arbeit über Filmskandale in der Weimarer Republik. Seit April 2014 wissenschaftlicher Mitarbeiter im SFB/TRR 138 „Dynamiken der Sicherheit“ der Universitäten Marburg und Gießen. Forschungsschwerpunkte: Politik- und Kulturgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, Medien- und Filmgeschichte, Historische Skandalforschung, Verkehrs-, Mobilitäts- und Infrastrukturgeschichte. Letzte Publikation: Projektionen der Moral. Filmskandale in der Weimarer Republik, Göttingen 2015.
E-Mail: kai.nowak@geschichte.uni.giessen.de

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