Nr. 52 | werkzeug | Abstract

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Julia Herzberg

[ DEUTSCH | ENGLISH | Kurz-Bio]

Verwahrt und vergessen. Die Archivierung bäuerlichen Schreibens
als Verlust

Der Beitrag widmet sich dem Verwahren und Vergessen bäuerlichen Schreibens in den Magazinen sowjetischer Sammlungen. Er versucht, die Magazine als Orte des Vergessens zu fassen, die wesentliche Bestandteile des Gedächtnisses wie Speicherung gewährleisteten, andere wie Kommunikation, Verbreitung und Erschließung jedoch verhinderten.
In dem Aufsatz wird den ambivalenten Praktiken von Philologen und Historikern nachgespürt, die auf der Suche nach altrussischen und altgläubigen Schriftdenkmälern auch bäuerliche Familienarchive in ihre Kollektionen einspeisten. Anhand der in den 1960er Jahren verfassten Expeditionsberichte sowie bäuerlicher Tagebücher und Autobiografien soll die Spannung zwischen Konfiszieren, Konservieren und Vergessen beleuchtet werden. Julia Herzberg vertritt die These, dass die sowjetischen Wissenschaftler durch ihren Sammeleifer jene Prozesse weiter verstärkten, die dem traditionellen Bauerntum neben ihren wirtschaftlichen auch ihre kulturellen Grundlagen entzogen. Die Sammlung und Speicherung ohne alltäglichen Gebrauch ging dem Vergessen voraus.

[ ENGLISCH | DEUTSCH]

Filed and Forgotten. Peasant Writing in Soviet Collections

The article is devoted to the safekeeping and loss to memory of peasant writing in the archives of Soviet collections. In this article Julia Herzberg conceptualises archives as places of oblivion. Archiving ensured essential functions of memory such as the storing of information, while preventing others like communication, distribution and exploitation. The article traces the ambivalent practices of philologists and historians who, while gathering Old Russian and Old Believers’ texts, took peasant family documents into their collections. Based on expedition records from the 1960s as well as peasant diaries and autobiographies, this paper examines the tension between confiscation, conservation and oblivion. Herzberg argues that Soviet scholars, driven by their collector’s passion, enforced processes which deprived the traditional peasant world of its economic and cultural foundations. Collecting and storing material without any regular use or access paved the way for oblivion.

Kurz-Bio: Julia Herzberg

Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Rachel Carson Center der LMU München. In ihrem neuen Projekt untersucht sie Kälte als kulturelle Herausforderung in Russland. Vorher war sie Stipendiatin im Graduiertenkolleg »Archiv Macht Wissen« an der Universität Bielefeld mit einer Dissertation zu bäuerlicher Autobiografik zwischen Zarenreich und Sowjetunion.
E-Mail: email:julia.herzbergatcarsoncenter.lmu.de

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